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Grand Egyptian Museum «Die Europäer sind die grössten Diebe der Welt»

Nach 20 Jahren Bauzeit hat Ägypten sein Prestigeprojekt eröffnet: das Grand Egyptian Museum am Fuss der Pyramiden von Gizeh. Mit 100'000 Objekten ist es die grösste Sammlung altägyptischer Kunst weltweit. Doch ein ikonisches Stück fehlt: die Büste der Nofretete. Ein Skandal?

In der Eingangshalle des Museums steht eine elf Meter hohe Statue von Ramses II. 3200 Jahre alt und 83 Tonnen schwer. Sie versinnbildlicht die Opulenz des neuen Grand Egyptian Museum, das Besuchenden und der Fachwelt in nie dagewesenem Umfang Einblicke in die 7000-jährige Geschichte Ägyptens gewährt.

Die gesamte Sammlung aus dem Grab Tutanchamuns ist hier zu sehen, die 42 Meter lange Sonnenbarke des Pharaos Cheops oder die Holzstatue des Schreibers Mitri.

Eine der schönsten und wichtigsten archäologischen Funde aus dem alten Ägypten allerdings fehlt: die Büste der Nofretete. Die bleibt weiter das Prunkstück im Neuen Museum in Berlin.

Büste der Nofretete
Legende: Die Büste der Nofretete im Neuen Museum in Berlin. Am 1. April 1924 wurde die Figur der altägyptischen Königin erstmals in Deutschland öffentlich präsentiert, nachdem sie zwölf Jahre zuvor bei Grabungen in Ägypten entdeckt wurde. KEYSTONE/DPA/Christophe Gateau

Lange Geschichte von Rückgabeforderungen

Dieses Meisterwerk altägyptischer Bildhauerkunst entstand im 14. Jahrhundert vor Christus und wurde 1912 vom deutschen Ägyptologen Ludwig Borchardt im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft entdeckt. Im Rahmen einer sogenannten Fundteilung gelangte sie mit Genehmigung der ägyptischen Altertümerverwaltung nach Deutschland.

Die Europäer sind die grössten Diebe der Welt.
Autor: Zahi Hawass Ehemaliger Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung

Seit der ersten öffentlichen Ausstellung der Büste im Jahre 1924, wird die Rechtmässigkeit der Fundteilung angezweifelt. Aus diesem Grund liess die Direktorin des Ägyptischen Museums Berlin die Fundteilung abermals untersuchen und 2010 für gültig erklären. Trotzdem – oder gerade deswegen – flammt mit der Eröffnung des Grand Egyptian Museum die Debatte erneut auf.

Angeführt wird sie von Zahi Hawass, dem ehemaligen Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung. Er forderte in einem Spiegel-Interview die Rückgabe der Büste: «Die Europäer sind die grössten Diebe der Welt. Nofretete ist eine Ikone. Sie gehört nach Ägypten.»

Hawass gilt als umstrittene Figur mit nicht ganz uneigennützigen Absichten. Allerdings stellen auch andere Experten wie Abdelghafar Wagdy oder Historiker Sebastian Conrad, Autor des Buches «Die Königin – Nofretetes globale Karriere», die Legalität von Borchardts Kulturgut-Export infrage. Sie verweisen auf Ungereimtheiten im genauen Hergang der Fundteilung und den kolonialen Kontext der Archäologie-Expedition.

Würde man die Nofretete-Büste aus ihrer Sammlung herauslösen, ginge ein wichtiger Kontext verloren.
Autor: Fabienne Haas Dantes Promovierte Ägyptologin

Kurz: es ist kompliziert und die Büste verbleibt zunächst in Deutschland.

Plädoyer für archäologische Weitsicht

Die Schweizer Ägyptologin Fabienne Haas Dantes warnt denn auch vor einer kurzsichtigen Restitutionsdebatte: «Die Nofretete-Büste ist Teil der Amarna-Sammlung in Berlin. Würde man sie herauslösen, ginge ein wichtiger Kontext verloren.»

Museen sind keine nationalen Trophäen-Sammelstellen, sondern Orte, wo Kunstschätze in einen geschichtlichen Zusammenhang gestellt werden. «In diesem Sinne ist der Verbleib der Nofretete-Büste in Berlin kein Skandal», meint Haas Dantes.

Solch differenzierende Argumente werden die Rückgabe-Diskussion um die Nofretete-Büste indes kaum abflauen lassen. Denn bei dieser geht es nicht nur um symbolische Wiedergutmachung, sondern auch um Prestige und Geld: Die Nofretete-Büste zieht in Berlin jährlich eine halbe Million Besuchende an. Welches Museum will schon auf einen solch lukrativen Kunstschatz verzichten?

Buchhinweis

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Sebastian Conrad: «Die Königin – Nofretetes globale Karriere». Propyläen Verlag, 2024.

Radio SRF 1, Echo der Zeit, 1.11.2025, 18:00 Uhr.

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