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Ich, die Mehrheit «Demokratie ist auch Fremd-Bestimmung»

Seit einer Woche lässt sich Pony M. fremdbestimmen – im Namen der Demokratie. Was nicht immer einfach ist: Oft entscheidet die Mehrheit anders, als Pony M. es tun würde. Wie im realen Leben, in der realen Politik. Wie fühlt sich das an?

Yonni Meyer, in «Ich, die Mehrheit» geht es darum, dass Sie als Pony M. Ihr Leben demokratisch fremdbestimmen lassen. Wie viel von Yonni Meyer mussten Sie bis jetzt aufgeben, um als Pony M. die Entscheidungen aus den Abstimmungen umzusetzen?

Yonni Meyer: Pony M. ist ja nicht Yonni Meyer. Aber trotzdem: Als Yonni würde ich viele Entscheidungen anders fällen. Klar, oft handelt es sich bei den Abstimmungsgegenständen nur um Lappalien aus dem Alltag. Dass ich aber keine Kontrolle mehr über gewisse Bereiche in meinem Leben habe, gibt mir schon ein anderes Lebensgefühl: Wenn dir die Mehrheit sagt, was du zu tun und zu lassen hast, wirst du dir deiner eigenen Freiheit viel bewusster. Es ist nicht tragisch, dass ich wegen einer Abstimmung meine Wäsche nicht mehr mit Weichspüler waschen kann – da es aber nicht meine Entscheidung war, fühlt sich das komisch an. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich mir jetzt mehr Gedanken über mein Verhalten im Alltag machen muss. Im Leben vor «Ich, die Mehrheit» habe ich viele eigene Entscheidungen nie reflektiert. Das hat sich jetzt geändert.

Solche Mehrheitsentschlüsse können auch schon Mal «ans Läbige» gehen – etwa dann, wenn Fremde darüber entscheiden, ob Sie sich einem DNA-Test unterziehen sollen oder nicht.

Video
Apfel oder Pizza? Die Mehrheit entscheidet
Aus Kultur Extras vom 24.04.2014.
abspielen. Laufzeit 46 Sekunden.

Einen Teil meines Lebens in die Hände Fremder zu legen, ist ja so gewollt. Mich in meiner Freiheit einschränken zu lassen, ist Teil des Experiments. Trotzdem werde ich oft gefragt: Wie kannst Du bei solch persönlichen Dingen die Mehrheit entscheiden lassen? In dem Moment fangen die Leute an, über das Ganze nachzudenken. So war es auch bei der Entscheidung, ob ich mich auf Zystische Fibrose testen lassen soll oder nicht. Das hat die Leute teilweise schockiert. Aber genau das ist es, was den Diskurs anregt. Das ist das eigentliche Ziel von «Ich, die Mehrheit»: Durch diskursive Beteiligung wird man politisch.

Stichwort Fremdbestimmung: Die persönliche Freiheit ist eins der höchsten Güter einer demokratischen Gesellschaft. Ist das Experiment nicht gerade ein Eingriff in die persönliche Freiheit?

Viele kommen auf mich zu und sagen: Hey, das ist doch nicht demokratisch, wenn du dich fremdbestimmen lässt. Aber: Demokratie ist auch Fremdbestimmung. Fremdbestimmung mit dem Ziel eines konstruktiven Miteinanders und der Findung eines Konsens. Wenn ich bei einer Abstimmung nein sage, das Resultat aber ein ja wird, dann werde ich infolge fremdbestimmt: Denn die Umsetzung des in der Abstimmung getroffenen Entscheides trifft auch mich. Die Mehrheit hat entschieden. Wenn mir nun bei «Ich, die Mehrheit» ein Abstimmungsresultat gegen den Strich geht – wie bei dem DNA-Test zur Zystischen Fibrose – dann muss ich mich in einem demokratischen System dieser Entscheidung fügen. Ich selber hatte ja auch meine Stimme – entschieden hat aber schlussendlich die Mehrheit. Dann muss ich tun, was abgestimmt wurde und fertig. Das Experiment ist ziemlich nah am realen politischen Erleben – es ist und bleibt aber, und das ist mir wichtig zu betonen, ein Experiment.

Sie schreiben in Ihrem Blog, dass Ihnen schon mehrere Leute gesagt hätten, seit sie «Ich, die Mehrheit» verfolgen, hätten sie wieder Lust, abstimmen zu gehen.

«Ich, die Mehrheit»

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Demokratie – alle finden sie gut und doch gehen immer weniger an die Urne. Wird Demokratie zur Nebensache? «Nie und nimmer!», sagt Pony M. Im SRF-Projekt «Ich, die Mehrheit» stellte sich die Bloggerin der direkten Demokratie und liess die Mehrheit vom 27. April bis am 18. Mai 2014 über ihr Leben abstimmen.

Für mich ist es das Grösste, wenn das Experiment solche Auswirkungen hat. Von Langzeitwirkung zu sprechen ist natürlich optimistisch. Aber wenn Politik und demokratische Grundzüge greifbar gemacht werden, zeigt das den Leuten, dass das politische Geschehen nicht spröde sein muss. Durch gezielte Auseinandersetzung gewinnt Politik an Substanz, die durchaus spannend sein kann. Und wenn das auch junge Erwachsene erkennen, dann ist das ein Erfolg. Den sozialen Medien kommt eine wichtige Rolle zu: Hier finden Junge leicht Zugang zu politischen Auseinandersetzungen, wie sie früher nur auf Podien und an Stammtischen stattfanden.

Mit dem Experiment exponieren Sie sich und Pony M. stark in der Öffentlichkeit.

Ja, und das ist nicht immer nur angenehm. Klar ist der Gang in die Öffentlichkeit über so viele Kanäle auch Publicity für meine Figur. Es rückt mich als Künstlerin ins Zentrum und das ist natürlich auch toll! Zu behaupten, dass dem nicht so ist, wäre gelogen. Aber das ist nicht die Hauptmotivation, bei «Ich, die Mehrheit» mitzumachen. Es geht darum, meinen Leserinnen und Lesern etwas zurückzugeben: Ich möchte meine Erfahrungen, die ich während dieser drei Wochen mache, gerne teilen. Denn, ganz ehrlich, die Schweizer Politik liegt mir wirklich am Herzen. Mich hat nach den Abstimmungen vom 9. Februar – als die Masseneinwanderungsinitiative angenommen wurde – stark beschäftigt, dass die Wahlbeteiligung so niedrig war. Obwohl sie höher war als auch schon, aber eben: immer noch zu tief, wie ich persönlich finde.

Dass wir in der Schweiz eine direkte Demokratie haben, ist sehr wertvoll. Und wenn «Ich, die Mehrheit» den Leuten dieses Gut wieder näher bringt, dann bin ich noch so gerne das Maskottchen dieser Grundgedanken.

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