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Nahaufnahme des Fotografen Christian Lutz
Legende: Seit 2003 nimmt der Genfer Fotograf Christian Lutz Motive der Macht vor die Linse. Keystone

Landesteile Vorurteile Die Welt der Mächtigen im Sucher des Genfers Christian Lutz

Mit 40 Jahren ist Christian Lutz bereits einer der bedeutendsten Fotografen der Schweiz. Auf den ersten Blick zeigen seine Bilder Nebensächliches, auf den zweiten aber verstörende Geschichten der alltäglichen Inszenierung von Macht. Ein Portrait des Genfer Künstlers.

Buchhinweise

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  • Christian Lutz: «Tropical Gift», Lars Müller Publishers, 2011.
  • Christian Lutz: «Protokoll», Lars Müller Publishers, 2007.

Morgens um 10 Uhr im Uno-Hauptsitz in Genf. Die Teilnehmer einer internationalen Konferenz strömen herein, das Sicherheitspersonal steht stramm, die Kaffee-Automaten rattern. Noch ist der grosse Saal leer, umso grösser dafür das Gedränge in den Vorräumen. Mitten im Gewusel Christian Lutz, die Kamera schussbereit. Wie ein Jäger auf der Suche nach Beute streift der Fotograf durch die Gruppen von diskutierenden Krawattenträgern. Der richtige Moment kommt plötzlich, seine Hand ist blitzschnell am Auslöser. Eine Sekunde später ist er bereits wieder weiter – ein flinker, unauffälliger Beobachter.

Kurze Momente mit langer Wirkung

In solchen Situationen blüht er auf. Hier findet er, was ihn interessiert: Die kleinen Interaktionen am Rande eines grossen Ereignisses, die zufälligen Choreographien, wenn Menschen auf engem Raum zusammentreffen. Die Motive von Christian Lutz sind unspektakulär. Ein Mann, der auf dem Boden kauernd seine Unterlagen ordnet. Zwei Delegierte, die sich von ihrem Kollegen für das private Fotoalbum fotografieren lassen. Ein Mann, den Krawattenknopf zurechtrückend.

Diese unbeobachteten Momente verdichtet Lutz zu Aussagen über die Beziehung von Menschen zueinander und zur Macht. Für seinen Fotoband «Protokoll», erschienen 2007, begleitete Lutz drei Jahre lang Schweizer Diplomaten ins Ausland und zu Staatsempfängen. Wie ein Ethnologe beobachtete er ihr Verhalten, ihren Habitus, ihre Rituale. Zeigt nicht die salbungsvollen Ansprachen, sondern das gelangweilte Schweigen dazwischen. Und entlarvt so die Würdenträger als Gefangene von in Formalismen erstarrten Hierarchien und Rollenbildern.

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Im Fotoband «Tropical Gift», erschienen 2011, seziert Christian Lutz die Machtstrukturen der Wirtschaft. Diesmal porträtiert er Menschen im von der Öl- und Gasindustrie dominierten Nigeria, seien es die Profiteure aus den obersten Gesellschaftsschichten, seien es die Armen, zu denen 90 Prozent der Bevölkerung gehören. Auch hier bleibt der Blick des Fotografen kühl. Und gerade das macht die Bilder beunruhigend intensiv.

Verkaufsverbot für neuestes Fotobuch

Naturgemäss hat Lutz‘ Arbeit eine politische Dimension. Und das verschafft ihm nicht nur Freunde. Sein neuestes Buchprojekt hat die religiöse Macht zum Thema. «In Jesus Namen» blickt hinter die Kulissen der Freikirche ICF und ist Ende 2012 erschienen. Obwohl der ICF grünes Licht gegeben hatte, wollte die Freikirche nachträglich die Publikation gewisser Bilder verhindern. Gemäss Richterbeschluss darf das Buch vorläufig nicht verkauft werden. Ein Rechtsstreit ist im Gange.

Ein machtvolles religiöses Systems tritt an gegen die Freiheit der Presse und der Kunst – so sehen es der Fotograf und sein Verlag Lars Müller. Die Auseinandersetzung ist der Preis für den geschärften Blick, den Christian Lutz auf die Gesellschaft wirft. Ein Blick, der so entlarvend ist, dass ihn die Mächtigen fürchten.

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