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Eine weisse Rolle Schnur, deren Ende zum Teil ausgewickelt ist, liegt neben einer blauen Schere.
Legende: Eine Packschnur bekommt bei Nicholson Baker plötzlich einen philosophischen Dreh. Imago/Westend61

Literatur Besessen vom Banalen: Nicholson Baker macht aus Alltag Literatur

Nicholson Baker liebt schräge Perspektiven. In einem seiner Essays baut der Ich-Erzähler seinen Liegestuhl neben einer Müllhalde auf: Nur hier könne er sicher sein, alle Dorfbewohner leibhaftig zu Gesicht zu bekommen. Baker schreibt über Nebensächliches – dies aber witzig und selbstironisch.

Immer schon war der 57-jährige amerikanische Schriftsteller und Journalist Nicholson Baker besessen von den sogenannt abgelegenen Dingen: jenen, über die man entweder nicht nachdenkt oder über die man nicht spricht: «Rolltreppen, Babynasen, Telefonsex, Zündhölzer». So heisst es in einer Rezension über Baker.

Die banalen Gegenstände des Alltags

Einer der Essays in seinem neuen Buch «So geht's» kreist um das Motiv der Schnur, der ganz banalen Haushaltsschnur. Als Junge band Baker alle Möbel in einem Raum mit einer Schnur zusammen. Man versteht, dass hier einer auf einer tieferen Ebene von Kindheit erzählt und über die Möglichkeiten des Schreibens reflektiert: Alles kann mit allem verbunden werden.

Wenn der Junge dann seinen Drachen fliegen lässt, ihm mehr und mehr Schnur gibt, denkt er sich mit ihm «weit in die leere Luft hinaus». «Da hielt ich etwas fest, was lebte und flog und dennoch ganz weit weg war.» In vielen Geschichten führen biografische Fragmente zu Bakers eigentlichen Themen.

Die Leidenschaft für Wissen

Eines davon sind die neuen digitalen Formen der Sammlung und Verbreitung von Wissen. Baker ist bekennender, leidenschaftlicher Fan von Wikipedia – aber mit derselben Besessenheit hängt er an den alten traditionellen Trägern von Wissen, den Büchern und Zeitungen. Dass im Zuge der Digitalisierung grosse Bibliotheken ganze Schätze vernichtet haben, hat ihn zu einem Prozess gegen die Hauptbibliothek in San Francisco geführt.

Buchhinweis

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Nicholson Baker: «So geht's.» Essays. Rowohlt, 2014.

Damit nicht genug: In jener grossen Mühle in Maine, die er bewohnt, hat er ein Dachgeschoss ausbauen und belüften lassen, um ganze Jahrgänge alter Lieblingszeitungen, die er aufgekauft hat, bewahren zu können. Nicholson Baker ist ein Bewahrungs- und ein Beschreibungskünstler, im Leben und in der Sprache.

Wenn er etwa über seine eigene Hochzeit in Venedig schreibt, taucht er in die Familiengeschichten der venezianischen Gondolieri ein, informiert über die verkehrstechnischen Veränderungen auf dem Kanal und beschreibt ausgiebig die technischen Details der Gondeln.

Denkgewohnheiten erweitern

Baker spielt mit Lesererwartungen und erweitert Denkmöglichkeiten. Er schreibt witzig und selbstironisch, mischt Autobiografisches und Fiktionales. Baker hat auch grosses Vergnügen daran, Aspekte von philosophischen Fach- und technischem Sachbüchern in seinen Essays unterzubringen.

Letztlich erzählt Nicholson Baker davon, in welch abgelegene Bezirke ihn sein eigener besessener Wissensdrang führt. Und erzählt damit vom Glück der Neugier.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 6.45 Uhr

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