Wie war es für Sie, aus der Ferne über Syrien zu schreiben?
Luna Al-Mousli: Das war schwer für mich. Schreiben ist ein sehr persönlicher Prozess und es sind sehr persönliche Geschichten, die ich erzähle.
Und es war schwer für mich, beim Schreiben zu realisieren, dass das, worüber ich schreibe, nie wieder so sein wird wie früher: Weil die Familie nicht mehr zusammen ist, weil die Stadt nicht mehr das ist, was sie mal war, aber auch weil das Lebensgefühl von damals heute sehr Besorgnis erregend ist.
Das macht mich traurig. Aber es war für mich wichtig, über das Syrien meiner Kindheit zu schreiben, weil es Erinnerungen sind, die mich geprägt haben.
Man merkt erst, wenn man aus diesem System rauskommt, was es für einen Einfluss auf einen hat.
In Ihrem Buch gibt es viele politische Ereignisse, die sie aus der Sicht eines Kindes beschreiben. Wie ist heute Ihr erwachsener Blick auf das Syrien ihrer Kindheit?
Wenn man in etwas drin steckt, ist es sehr schwer zu reflektieren, weil man Teil davon ist und funktionieren muss.
Ich weiss noch, als ich in der Schule geschlagen wurde, sah meine Mutter keine Möglichkeit, sich bei der Direktorin zu beschweren. Sie sagte deshalb immer zu mir: «Fall doch einfach weniger auf.»
Man merkt erst, wenn man aus diesem System rauskommt, was es für einen Einfluss auf einen hat.
Sie schauen auf Ihre Kindheit in den 90er-Jahren mit einer Träne und einem Lächeln zurück. Wofür steht das Lächeln?
In meinem Buch gibt es sehr viele politische Geschichten: Die Menschen, die im arabischen Frühling auf die Strasse gingen, um gegen die Missstände Widerstand zu leisten, das war ein schöner Akt. Dafür steht das Lächeln.
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Und die Träne?
Die Träne steht dafür, dass es am Schluss nicht in die richtige Richtung gekippt ist. Politik ist gruselig. Es geht nicht um die Menschen und um das, was sie für ihr Land wollen, sondern um Landbesitz und Macht. Das ist traurig.
Ihre Tanten und ihre Grosseltern leben noch immer in Damaskus. Wie gehen Sie damit um?
Wir haben eine WhatsApp-Gruppe und halten uns auf dem Laufenden. Aber wir reden nicht explizit über den Krieg und wie es ihnen geht. Wir erzählen uns vielmehr Alltagsgeschichten: «Schau, ich habe die Haare geschnitten».
Aber, wenn es einen Anschlag gibt, dann wird es unruhig, bis jemand schreibt, dass alles in Ordnung ist. Was mich fertig macht, ist, dass ich von Wien aus nicht helfen kann. Das macht mich wütend und traurig.
Wie gehen Sie mit diesen Ohnmachtsgefühlen um?
Ich habe damit gelernt umzugehen, weil ich muss. Ich schaue keine Nachrichten und versuche, durch meine Arbeit den Menschen zu helfen, auf die ich einen Einfluss haben kann.
Ausserdem arbeite ich mit Jugendlichen, die nach Österreich geflohen sind – beispielsweise im Projekt TANMU, einer Lernhilfe für jugendliche Flüchtlinge.
Sendung: 2.11.2016, SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 14:45 Uhr.