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«Eine Peinlichkeit»: So urteilt «Der Spiegel» über Sloterdijks jüngstes Buch, das für einmal keine philosophisch-theoretische Abhandlung ist, sondern wie ein erotischer E-Mail-Roman daherkommt, auch wenn das Werk den erhabenen Titel «Das Schelling-Projekt» trägt.
Von Guido Mösenlechzner bis Beatrice von Freygel
Im Buch treten verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, die tatsächlich peinlich eindeutige Namen tragen wie Guido Mösenlechzner, Agneta Stutensee, Desiree zur Lippe oder Beatrice von Freygel.
Nur eine Figur hat einen gängigen Namen, nämlich Sloterdijk, der im Buch einfach Peer statt Peter heisst, sonst aber wie ein Alter Ego des realen Philosophen wirkt. Alle mailenden Figuren sind auch ähnlich wortgewandt wie Sloterdijk, um nicht zu sagen, geschwätzig.
Forscher werden zu Erforschten
Vordergründig geht es im E-Mail-Verkehr darum, ein wissenschaftliches Projekt mit dem Titel «Das Schelling-Projekt» über die Entstehung der weiblichen Lust aufzugleisen. Doch dann geht es plötzlich eindeutiger zur Sache.
Das heisst: Von der Erforschung der Sexualität gibt es immer fliessendere Übergänge zur Sexualität der Forschenden, die ihre Liebeserlebnisse mit Mailpartnern oder Fremden zum Besten geben.
Es wird zuweilen fast pornografisch, wobei Sloterdijk die deftigste Gruppensex-Szene gern und geniesserisch einer Frau in den Mund legt, die darin natürlich die Erfüllung ihrer erotischen Wünsche sieht.
«Pornoakustik» ohne Sinnlichkeit
Das klingt dann so: «Meine Öffnungen waren fortwährend mehrfach belegt, falls du verstehst, was ich meine.» Man versteht. «Pornoakustik» heisst es an einer Stelle – genau das liefert das Buch, sexuelle Akustik ohne Fleisch und Blut und Sinnlichkeit.
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Doch Sloterdijk hat Höheres im Sinn, wenn er sich in die Niederungen der ranzigen Altherrenerotik herablässt. Sein Ziel ist wie immer, «fröhliche Wissenschaft» im Sinne von Nietzsche zu treiben: Er möchte das Werden, die Ursprünge des Lebens und Denkens einfangen und Entwicklungen aufzeigen, in denen Naturgeschichte, Kulturgeschichte, Philosophie, Literatur und Leben eins sind.
Der Denker und sein Kerngeschäft
Konkret stellt Sloterdijk die durchaus spannende Frage, wie die Avantgarde der künstlerischen und philosophischen Entwicklung mit der Evolution der Lust und besonders der weiblichen Lust zusammenhängt.
Wenn der Denker bei seinem Kerngeschäft bleibt, resultieren durchaus faszinierende Ausführungen gerade über Schelling und die Naturphilosophie des Deutschen Idealismus.
Sloterdijk riskiert Kopf und Kragen
Aber er will leider viel mehr bieten: nicht nur theoriesatt über die «Entfaltung luxurierender weiblicher Sexualität» reflektieren, sondern zugleich angewandte Erotik liefern.
Wer wie er sich für Dinge begeistert, die nicht schon zu Tode gedacht, erloschen, «Leichenhallenwissen» sind, der muss bereit sein, Grenzen zu überschreiten, Grenzen der Fachdisziplinen, Grenzen zwischen Philosophie und Literatur, aber unweigerlich auch Grenzen des guten Geschmacks.
Peter Sloterdijk ist ein Philosoph, der Kopf und Kragen, und in seinem neuesten Opus selbst die Unterhosen, riskiert.