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Neuer Comic «Die grosse Leere» Selten wurde ein Comicdebüt in Frankreich so gefeiert

Dieses Graphic-Novel-Debüt sorgt für Furore: Léa Murawiec zeichnet eine Stadt, in der Aufmerksamkeit alles ist. Der falsche Name ist tödlich.

Wer vergessen wird, stirbt. So unerbittlich ist das Gesetz, das die Metropole beherrscht, in der Manel Naher lebt. Überleben kann nur, wer «präsent» ist, wer die Aufmerksamkeit der anderen auf sich und seinen Namen lenkt.

Gewissen Menschen fällt das leicht, und sie schwelgen im Luxus. Andere müssen in den Gassen um Aufmerksamkeit buhlen und betteln, damit sie nicht sterben.

Zeichnung in orange, blau von einer Stadt voller Hochhäuser, etliche Schilder mit Namen an Gebäuden.
Legende: Wer es sich leisten kann, erkauft sich Aufmerksamkeit durch Eigenwerbung. Edition Moderne

Die Strassen, Plätze und Hochhäuser sind mit Schildern zugepflastert – nicht mit Firmenlogos und Werbung, sondern mit Namensschildern von Menschen, die sich diese Form von Eigenwerbung leisten können.

Ein mörderischer Sommerhit

Manel Naher, eine unbekümmerte junge Frau, schert sich keinen Deut um das fragwürdige ökonomische System. Die Idealistin begnügt sich mit dem lebensnotwendigen Minimum an «Präsenz» und plant vielmehr ihren Ausbruch aus der Stadt.

Mit einem Freund will sie das mysteriöse Gebiet erkunden, das die Stadt umgibt: die sogenannte «Grosse Leere», aus der noch nie jemand zurückgekehrt ist.

Comic dunkelblau auf weiss, eine Frau mit Notizblock, eine ältere Frau und ein junges Mädchen stehen daneben.
Legende: Das Rezept der Aufmerksamkeitstherapeutin: unter anderem viermal Nachtclub, fünfmal Kaffeetreffen. Gratis ist die Behandlung nicht. Edition Moderne

Manel Naher hat jedoch ein Problem: Eine gleichnamige Popsängerin erobert mit ihrem Hit «Mein Name ist in aller Munde» die Charts. Von da an monopolisiert die prominente Namensvetterin die gesamte Aufmerksamkeit für den gemeinsamen Namen.

Manel Naher wird schwächer und schwächer. Trotz der Unterstützung ihrer Familie und einer Aufmerksamkeitstherapeutin nähert sie sich dem Tod.

Jagd auf Klicks und Likes

Selten wurde ein Debüt in Frankreich so gefeiert wie Léa Murawiecs «Die grosse Leere». Die junge französische Comicautorin hatte sich zuvor mit kurzen Geschichten in alternativen Comic-Zeitschriften und im Eigenverlag veröffentlichten Publikationen einen Namen als vielversprechendes Talent gemacht.

Auszeichnung am Comicfestival

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«Die grosse Leere» wurde 2022 am Comicfestival von Angoulême mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

«Die grosse Leere» ist ihre erste Graphic Novel, fulminante 200 Seiten lang. Die vielschichtige Dystopie umkreist mit satirischem Biss und schwarzem Humor wesentliche Themen unserer Zeit. Die lebensbedrohliche Aufmerksamkeitsökonomie ist eine originelle Metapher für die sozialen Medien und unsere Abhängigkeit von Klicks und Likes.

Foto einer jungen Frau mit dunklen, langen Haaren, schaut nach links, lächelt leicht.
Legende: Die aufsteigende Comicautorin Léa Murawiec, geboren 1994, hat Grafikdesign studiert. Alain Francois

Murawiec wirft aber auch Fragen auf nach Identität, Egozentrik und Eigennutz – nach dem Wert von Prominenz, und nicht zuletzt nach dem Platz und der Bedeutung des Individuums im anonymen Kollektiv.

Skrupellose Prominenz

Manel Naher wehrt sich nämlich gegen Siechtum und Tod – allerdings nicht wie geplant durch die Flucht in die grosse Leere, sondern indem sie fortan das Spiel um die Aufmerksamkeit skrupellos mitspielt.

Buchhinweis

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Léa Murawiec: «Die grosse Leere». Edition Moderne, 2023.

Während ihr Freund allein in die grosse Leere aufbricht, opfert sie ihre Ideale und Träume: Sie wird selbst zum omnipräsenten Promi, in dessen Schatten andere Menschen – nicht zuletzt ihre Familie – die lebensnotwendige Aufmerksamkeit und «Präsenz» verlieren.

blau-weisse Zeichnung eines Mädchens, wütender Ausdruck, im Auto, umklammert Lenkrad.
Legende: Manel Naher macht sich das Spiel um Aufmerksamkeit zu eigen – bis sie selbst daran kaputt geht. Edition Moderne

Innerlich aber wird Manel Naher wegen ihrer Selbstbezogenheit immer leerer. Bis sie sich am Schluss an ihren alten Traum erinnert: die grosse Leere.

Schwindelerregende Welt

Diese Prozesse setzt Léa Murawiec in schwungvollen Zeichnungen um: Sie reizt die Anatomie ihrer Figuren aus und verleiht ihnen eine atemlose Dynamik.

Die Perspektiven der Strassenschluchten sind ebenso schwindelerregend wie klaustrophobisch. Mit einer limitierten Farbpalette aus Blau, Rot und Dunkelviolett schafft sie eine erstaunliche Räumlichkeit.

«Die grosse Leere» ist ein Debüt von beeindruckender inhaltlicher wie gestalterischer Stilsicherheit und Reife.

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SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 02.05.2023, 07:52 Uhr.

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