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Schweizer Buchpreis Neuer Bärfuss-Roman «Koala»: Schwarze Gedanken, niedlich verpackt

Lukas Bärfuss' zweiter Roman «Koala» kommt mit putzigem Namen daher – ist in Wahrheit aber eine ernste Geschichte. Wie vom Schweizer Schriftsteller nicht anders zu erwarten, provoziert Bärfuss und bringt uns zum Nachdenken: In «Koala» wagt er sich an den Selbstmord seines Bruders.

Mit «Koala» wagt sich Lukas Bärfuss an ein grosses gesellschaftliches, aber auch literarisches Thema heran: den Selbstmord. An alle Fragen und Empfindungen, die eine solche Todesart in uns auszulösen vermag.

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Warum aber Selbstmord. Warum wählt Bärfuss nicht den neutralen Begriff Suizid, Selbsttötung? Weil es ihm um das gesellschaftliche Tabu geht, das grosse Schweigen. Das Stigma, das auf die Betroffenen zurückfällt.

Der tote Bruder in der Badewanne

Ich-Erzähler ist Bärfuss selbst, der den Selbstmord seines Bruders verarbeitet. Seine Wut und seinen Zorn darüber, dass man mit einem Selbstmörder nie fertig werden kann, niemals. Bilder verfolgen ihn: Wie sein Bruder tot in der Badewanne liegt. Mit dem goldenen Schuss hat er sich willentlich ein Ende gesetzt.

Aber nicht nur Bilder tauchen auf, auch Erinnerungen wie aus der Retorte. Ihm wird bewusst: Das Gefühl, das ihn seit dem Tod des Bruders gefangen hält, hat einen Namen: Einsamkeit. Von diesem Gefühl getrieben, will der Ich-Erzähler nun wissen, wann die Weichen im Leben seines Bruders so gestellt wurden, dass sein Leben in einer Badewanne enden musste. Und um diese Frage zu beantworten, geht Bärfuss gekonnt und anspruchsvoll an die Fragestellung heran.

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Pfadinamen «Koala»

Wir erfahren, dass sein Bruder als Junge den Pfadfindernamen «Koala» erhielt. Ein Totem, mit dem er sich alles andere als identifizieren wollte. Viel lieber hätte er den Namen eines kraftvollen, gefährlichen Tieres erhalten. Und Lukas Bärfuss fragt sich: War mit dieser Namenszuschreibung etwas losgetreten worden, das dem Leben seines Bruders ein frühzeitiges Ende gesetzt hatte?

Um eine Antwort darauf zu finden, spannt der Autor den Bogen extrem weit. Vielleicht für manche zu weit. Fast 100 Seiten dauert sein Exkurs. Ein Exkurs über die zivilisatorische Geschichte des Koalas. Erst vertreiben die Ureinwohner Australiens das genügsame und wehrlose Tier mit den schwarzen Knopfaugen ins Hinterland. Dann jagen es die Engländer, die in Australien eine Strafkolonie gegründet haben, und rotten es fast gänzlich aus.

Phänomenales Panorama

Das Panorama, das Bärfuss im postkolonialen Stil von Christian Krachts «Imperium» oder gar in Analogie zu Joseph Conrads «Herz der Finsternis» entwirft, ist phänomenal. Der Autor führt den Leser mit diesem Exkurs auf die Fährte, eine Parallele zwischen dem Koalatier und seinem Bruder als Opfer einer erbarmungslosen Umwelt zu ziehen.

Buchhinweis

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Lukas Bärfuss: «Koala». Wallstein Verlag, 2014.

Aber eigentlich geht es ihm darum, das Leben des Bruders in einen grösseren historischen Kontext setzen – als dramaturgisches Element sozusagen. Um den Leser mit einem erneuten Bruch zu überraschen, mit einem Hammerschlag, der sitzt.

Erst befinden wir uns noch auf Expedition in Australien – Männer mit Dreispitzhüten, die sich durch den Busch kämpfen. Und dann finden wir uns wieder in der unmittelbaren Gegenwart des Ich-Erzählers, der sich mit dem Selbstmord seines Bruders auseinanderzusetzen hat. Das ist eine harte Landung, die schmerzt.

Lukas Bärfuss

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Porträt.

Lukas Bärfuss – Audio, Lesung, Bilder und Video auf ansichten.ch , das Literaturportal von SRF.

«Warum seid ihr noch am Leben?»

Bärfuss schreibt: «Und ich begriff auf einmal, weshalb man es scheute, über den Selbstmord zu reden. Er war nicht wie eine Krankheit ansteckend, er war überzeugend wie ein schlüssiges Argument. Es war eine Lüge zu behaupten, dass man die Selbstmörder nicht verstand, im Gegenteil. Jeder verstand sie nur zu gut. Die Frage lautete nicht, warum hat er sich umgebracht? Die Frage lautete: Warum seid ihr noch am Leben? Warum nehmt ihr jetzt nicht gleich den Strick, das Gift oder den Revolver, warum öffnet ihr nicht das Fenster, jetzt gleich?»

Mit solchen schwarzen Gedanken will Bärfuss provozieren. Er will den Diskurs öffnen – wie mit seinem letzten Satz in «Koala»: «Ich stieg in den Wagen, fuhr nach Hause, setzte mich hin und begann zu schreiben.» – und das gelingt.

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