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Healing Rituals: Musik, die heilen hilft
Aus Kontext vom 22.09.2023. Bild: Getty Images / Gari Garaialde / Kontributor
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Heilung durch Musik Im Spitalbett erlebte Naïssam Jalal die heilsame Kraft der Musik

Spirituelle Trance-Musik half Naïssam Jalal, nach monatelanger Krankheit gesund zu werden – ein Schlüsselerlebnis für die französisch-syrische Flötistin.

Naïssam Jalal steht international auf grossen Bühnen. Ihre Musik bewegt sich zwischen Jazz, Kammermusik und Global Music und besticht mit treibenden Rhythmen und ausdrucksstarkem, melodiösem Spiel.

Als Tochter syrischer Einwanderer in Frankreich begann sie im Alter von fünf Jahren, Flöte zu lernen. Gespielt hat sie besonders klassische Musik. Als 17-Jährige machte sie die Erfahrung, die sie Musikerin werden liess: Sie improvisierte zum ersten Mal frei, ein Spiel ohne Noten. Dies löste in ihr einen tiefschlummernden Schmerz.

Trance-Rituale der Gnawa

Diese heilende Kraft der Musik blieb für Naïssam Jalal eine Faszination. So befasste sie sich neben dem Studium von klassischer arabischer und indischer Musik besonders mit der Verbindung zwischen Musik und Spiritualität.

Strassenparade: Gnawa-Musiker während der Eröffnungszeremonie des Gnaoua World Music Festival in Essaouira, Marokko
Legende: Während des Gnaoua-Festivals, welches jährlich stattfindet, verwandelt sich die marokkanische Küstenstadt Essaouira in ein Festivalgelände. Keystone/ EPA / JALAL MORCHIDI

Bei den Gnawa wurde sie fündig. Die ethnische Minderheit in Marokko nutzt ihre Trance-Musik, um den Körper bei nächtlichen Ritualen von bösen Geistern zu befreien. Einen anderen Bewusstseinszustand erreichte sie nicht, aber Naïssam Jalal fühlte sich gut.

Gnawa

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Die Gnawa (französische Schreibweise: Gnaoua) sind eine ethnische Minderheit in Marokko und gelten als Nachfahren von Sklaven aus dem westlichen Afrika südlich der Sahara.

Sie verbinden Glaubensinhalte des Islams mit vorislamischen Praktiken des subsaharischen Afrika und sind für ihre rhythmusbetonte Musik bekannt.

Die Gnawa praktizieren therapeutische Besessenheitsrituale in Form von nächtlichen Trance- und Rhythmuszeremonien, bei denen sie afrikanische, arabische und berberische Traditionen kombinieren.

Live-Musik am Krankenbett

Wichtig wurde Gnawa-Musik für Naïssam Jalal im Jahr 2013. Sie erkrankte an einer seltenen Krankheit, lag über Monate im Spital, konnte sich kaum bewegen und bangte sogar um ihr Leben.

Ein befreundeter Musiker besuchte sie und spielte Live-Musik für sie am Krankenbett. Naïssam Jalal erzählte, dass die Schwingungen im Raum ihr ihre Ängste genommen haben und so erst ermöglichte, dass sich die Schmerzen lösten. Eine heilsame Erfahrung.

Berühren ohne Berührung

Dass Musik tatsächlich ein therapeutisches Werkzeug sein kann, bestätigt Joana Aderi. Sie ist Musiktherapeutin an der Psychiatrischen Uniklinik Zürich. Musik kann Nähe zwischen den Menschen herstellen: Man berühre sich, ohne sich körperlich zu berühren.

Zudem stellt die Musik in der Therapie etwas Drittes dar – etwas neben Patientin und Patient und Therapeutin und Therapeut. Wenn man sich immer wieder über die Musik austauschen kann, erzeugt das weniger Druck im Therapiegespräch.

Besonders auf neurologischer Ebene ist es spannend, was Musik im Menschen bewirkt. Musiktherapie kann nach Schlaganfällen helfen, die beeinträchtige Körperhälfte wieder einzubeziehen oder ist in der Arbeit mit Demenz-Patienten und Demenz-Patientinnen eine wichtige Ressource.

Der Durst nach Natur

Wieder auf den Beinen, möchte Naïssam Jalal diese Erfahrung mit anderen Menschen teilen. Sie spielt selber in Spitälern und schrieb acht Stücke, sogenannte «Healing Rituals».

Diese wurden im März auf dem gleichnamigen Album veröffentlicht. Gespielt von einem Quartett: Flöte, Cello, Kontrabass und Schlagzeug.

Für diese Kompositionen musste sich Naïssam Jalal in ihren kranken Körper zurückversetzen, um zu spüren, welche Klänge ihr damals fehlten. Entstanden ist eine Ode an die Natur.

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Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 22.9.2023, 09:05 Uhr

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