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Musik Stimmen aus dem Regenwald inspirieren Popgrössen wie Madonna

Herbie Hancock, György Ligeti oder Madonna: Sie alle liessen sich schon von der Musik der Pygmäen inspirieren, trotz grosser kultureller Unterschiede. Die Lieder der afrikanischen Völker sind von der Natur und ihren Geistern geprägt. Doch der Zukunft ihrer Musik droht Gefahr – vom Radio.

Viele einzelne Stimmen. Jede folgt ihrem ganz eigenen Rhythmus und Muster. Allein gehört, ergeben sie keinen Sinn. Doch gemeinsam verweben sie sich zu einem kohärenten Ganzen. Ein polyphoner Stimmenteppich entsteht, wenn Pygmäen singen – wenn ihr rhythmisch komplexer Gesang sich verbindet mit einer exotisch-faszinierenden Jodeltechnik.

Von Madonna bis György Ligeti

Pygmäen

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Die Bezeichnung «Pygmäen» ist ethnologisch unscharf: Es ist ein Sammelbegriff für kulturell unterschiedliche Völker, die in den Regenwäldern West- und Ostafrikas leben. Zu dieser Völkergruppe zählen zwischen 150'000 und 200'000 Menschen, deren gemeinsames Merkmal ihre relativ geringe Körpergrösse ist.

Vielleicht ist es die innige Verwurzelung mit dem Wald, die diese Musik weltweit einzigartig macht. Für die Pygmäen ist der Wald nämlich nicht einfach nur Umwelt. Ihre Musik ist die «Stimme des Waldes» und fester Bestandteil ihres alltäglichen Lebens. Jeder Wald, jeder Tiergeist, besitzt seine eigenen Melodielinien und Trommelmuster, jede soziale Situation, jeder gesellschaftliche Moment ein passendes Lied.

Die Gesangstechniken und die rhythmische Komplexität der Musik der Pygmäen haben viele Musiker und Künstler inspiriert, zum Beispiel György Ligeti (seine Klavieretüden) oder Madonna («Bedtime Stories»). Herbie Hancocks Schlagzeuger imitiert gar in «Watermelon Man» auf einer Bierflasche die Klänge der Hindewhu-Eintönflöte der Ba Benzélé Pygmäen. Und das Duo «Deep Forest» mixte Anfang der 1990er-Jahre ethnographische Aufnahmen von Pygmäengesängen mit Technobeats und anderen elektronischen Klängen.

Die verfilmte Biografie eines Musikforschers

Mann sitzt an Tisch.
Legende: Musikforscher Louis Sarno im Film «Song From the Forest». Tondowski Films

Bei einem Menschen hat der Zauber der Pygmäenstimmen ganz besonders stark gewirkt: Der amerikanische Musikforscher Louis Sarno verliess Mitte der 1980er-Jahre die USA und lebt seitdem als vollwertiges Mitglied bei den Bayaka-Pygmäen in Zentralafrika. Ihm verdanken wir unzählige Aufnahmen, eine bewegende Biographie in Buchform – und seit Neuestem einen Film: «Song From the Forest».

Der deutsche Journalist Michael Obert hat ihn produziert. Er begleitet darin Louis Sarno auf einer ganz besonderen Reise: Zurück in seine alte Heimat New York City, die er seinem im Regenwald geborenen Sohn zum allerersten Mal zeigt. Der Film schildert eindrucksvoll die Kontraste zweier Lebenswelten und vor allem die aussergewöhnliche Kraft der Pygmäenstimmen.

Das Radio im Regenwald, ein Störenfried?

Auf die Pygmäenmusik aufmerksam geworden war Louis Sarno Mitte der 1980er-Jahre durch eine Sendung im Radio. In den meisten Fällen wissen die Pygmäen wohl nicht, in welcher Form ihre Musik durch die digital-globale Musikwelt reist. Doch das Radio hat auch Einzug gehalten im Urwald und gewinnt an Einfluss auf die Pygmäen – und ihre Musik.

Was die einen als Fenster zur Welt beschreiben, empfinden andere als Gefahr: Neue musikalische Einflüsse setzten sich in den Köpfen fest, ebenso wie der Wunsch nach E-Gitarren und anderen Instrumenten der industrialisierten Welt. So könnte es sein, dass dieser einzigartige musikalische Gesangszauber eines Tages für immer von dieser Welt verschwindet und einzig als Erinnerungsstück in westlichen Musikarchiven verbleibt. Fernab jenes Waldes, der sie entstehen liess.

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