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Long Covid – Suche nach Linderung
Aus Puls vom 21.11.2022.
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Coronavirus Long Covid: Erste Schweizer Medikamentenstudien machen Hoffnung

Long-Covid-Betroffene leiden häufig unter Konzentrations-, Denk- und Gedächtnisproblemen. Noch gibt es hierfür keine Behandlungsmöglichkeiten. Doch nun testen zwei Schweizer Studien, ob Wirkstoffe aus der Multiple-Sklerose-Behandlung und -Forschung solche kognitive Symptome lindern können.

Delia De-Sassi hat endlich wieder Hoffnung. Seit ihrer Covid-Erkrankung hat sie Mühe mit dem logischen Denken und ermüdet auch sehr schnell. Nun nimmt sie als eine der ersten Long-Covid-Betroffenen an der Medikamentenstudie von Neurowissenschaftler Dominique de Quervain teil. «Solche Studien geben mir die Hoffnung, dass nun etwas passiert und man das Problem ernst nimmt», sagt Delia De-Sassi.

Die doppelblinde und Placebo-kontrollierte Studie der Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel untersucht, ob das bereits für die Behandlung von Multiple Sklerose zugelassene Medikament Fampridin auch Long Covid-Betroffenen helfen kann.

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Symptome und mögliche Ursachen von Long Covid
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Gestörte Reizweiterleitung

Studienleiter Dominique de Quervain vermutet, dass die kognitiven Symptome von Long-Covid-Betroffenen wie Konzentrations- oder Gedächtnisprobleme auf eine verminderte Reizweiterleitung im Gehirn zurückzuführen sein könnten.

Denn Nervenzellen im Gehirn leiten Reize durch elektrische Impulse weiter – von einer Zelle zur nächsten. Dazu braucht es Kalium. Eine sogenannte Myelinschicht umschliesst jede Nervenzelle und verhindert so, dass das Kalium entweichen kann. Beobachtungen bei Mäusen lassen jetzt vermuten, dass diese Myelinschicht nach einer Covid-Infektion durch bisher noch ungeklärte Immunprozesse Schaden nimmt. Als Folge davon verlieren die Nervenzellen ihr Kalium. So können sie elektrische Impulse nur noch ungenügend oder gar nicht mehr weiterleiten.

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Gestörte Reizweiterleitung bei Long Covid
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«Aus unserer früheren Forschung wissen wir, dass diese Kaliumkanäle bei der Kognition eine wichtige Rolle spielen», erklärt Dominique de Quervain. Wird dieser Kaliumstoffwechsel durch eine Covid-Infektion gestört, könnte das die kognitiven Symptome verursachen. Genau hier setzt der Wirkstoff Fampridin an, der bereits zur Behandlung von Multipler Sklerose zugelassen ist.

Fampridin blockiert in den Nervenzellen die Kaliumkanäle und vermindert so den Verlust von Kalium. Tierstudien haben gezeigt, dass dadurch die Nervenzellen die elektrischen Impulse wieder besser weiterleiten können. Doch auch mit diesem Wirkstoff können im besten Fall nur die Symptome gelindert werden.

Symptombekämpfung statt Heilung

«Es wäre sicher das Beste, man könnte das Problem an der Wurzel anpacken, aber dafür müsste man die Mechanismen, wie es zu Long Covid kommt, ganz genau verstehen. Und das tun wir nicht», betont Neurowissenschaftler de Quervain.

Studie hat Protein im Visier

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An mehreren Schweizer Kliniken läuft derzeit eine weitere Studie zur Behandlung von Long Covid. Bei rund 20 Prozent der Long-Covid-Betroffenen findet man im Blut das sogenannte W-ENV-Protein. Dies ist ein Protein, das zwar im menschlichen Genom codiert ist, aber im Körper gesunder Menschen nicht hergestellt wird.

Die Forschenden vermuten, dass eine Covid-Infektion bei manchen Menschen die Produktion des W-ENV-Proteins auslöst. Das Protein steht im Verdacht, dass es einerseits schädliche Autoimmunprozesse anschiebt, aber auch, dass es direkt schädlich auf das zentrale Nervensystem einwirkt und so kognitive Long-Covid-Symptome auslöst.

Die vom Bund mit 6,7 Millionen Franken geförderte doppelblinde und Placebo-kontrollierte Studie untersucht, ob der Antikörper «Temelimab» aus der Multiple-Sklerose-Forschung das W-ENV-Protein neutralisieren und kognitive Symptome lindern kann. Mit ersten Resultaten wird im Verlauf des nächsten Jahres gerechnet.

Auch bei anderen neurologischen Krankheiten verstehe man die zugrundeliegenden Mechanismen selbst nach jahrzehntelanger Forschung noch immer nicht. Die Forschung zur Bekämpfung der Symptome sei deshalb ebenfalls wichtig, ist Dominique de Quervain überzeugt: «Hätte man ein Medikament, das die Symptome lindert, dann wäre schon viel geholfen.»

Insgesamt 44 Patientinnen und Patienten sollen an der Basler Studie teilnehmen. Mit ersten Resultaten rechnen die Forscher im Verlauf des nächsten Jahres.

Puls, 21.11.2022, 21:05 Uhr

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