Biodiversitätskonferenz 2022 - So soll der Rückgang von Tier- und Pflanzenarten gestoppt werden

An der Weltbiodiversitätskonferenz in Montreal treffen sich fast 200 Länder, um den Niedergang der Natur bis 2030 zu stoppen. Was sind die Ziele? Wo liegen die Streitpunkte?

30 Prozent der Erdoberfläche und 30 Prozent der Meere sollen bis 2030 unter Schutz stehen. So das griffige Hauptziel der diesjährigen Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen in Montreal, in der es darum geht, den rapiden Rückgang der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten zu stoppen. Daneben gibt es zahlreiche weitere Ziele, die an der Konferenz diskutiert werden: Der Einsatz von Pestiziden soll reduziert, die Plastikverschmutzung soll eliminiert und staatliche Subventionen, die sich negativ auf die Biodiversität auswirken, sollen abgebaut werden.

Schweiz als Schlusslicht

Doch wer soll wie viel Meeres- und Erdoberfläche zur Verfügung stellen? Länder wie Brasilien wehren sich bis anhin, grosse Teile des Amazonas unter Schutz zu stellen und auch in Afrika macht es das starke Bevölkerungswachstum immer unwahrscheinlicher, dass grosse Landflächen unter Schutz gestellt werden.

Noch schwieriger dürfte es in stark entwickelten Ländern wie der Schweiz sein, die Naturschutzfläche deutlich zu erhöhen. Diverse Projekte für neue Naturparks sind in den letzten Jahren von der Bevölkerung abgelehnt worden.

Die Alp Flix im Graubünden – eine wahre Schatzinsel der Artenvielfalt

Imago /

Je nach Berechnungsart stehen in der Schweiz 9,1 bis 13,4 Prozent der Landesfläche unter Schutz. Damit steht unser Land in Europa ziemlich am Ende der Tabelle. Trotzdem setzt sich die Schweiz als Teil der sogenannten «high ambition coalition» dafür ein, dass 30 Prozent der Welt bis 2030 unter Schutz steht. Möglich werden soll das mit zwei Kniffen.

Was zählt als Schutzgebiet?

Kniff Nummer eins sieht vor, dass nicht jedes Land das 30-Prozent-Ziel einhalten muss. Einige Länder sollen mehr, andere weniger beitragen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie das verteilt wird und wie die wirklich wichtigen Flächen geschützt werden können und nicht nur grosse Flächen etwa in Wüstengebieten oder in der Tundra.

25 Prozent der Tier- und Pflanzengruppen sind gefährdet 

Der Weltbiodiversitätsrat sammelt weltweit wissenschaftliche Daten zum Zustand der Biodiversität. Die Übersicht aus Tausenden von Studien zeigt, dass durchschnittlich 25 Prozent der bisher untersuchten Tier- und Pflanzengruppen gefährdet sind. Das heisst, dass etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten dem Aussterben entgegengehen.

Auch bei Arten, die nicht vom Aussterben bedroht sind, stellen die Forschenden in vielen Fällen einen starken Rückgang der Anzahl Individuen fest, zum Beispiel bei den Insekten oder den Vögeln. Sterben zu viele Arten aus, funktionieren die Ökosysteme irgendwann nicht mehr. Dies hat dann auch direkte Auswirkungen auf uns Menschen: Mit einem starken Rückgang der Bestäuber-Insekten zum Beispiel nimmt die Produktion von Früchten ab und wenn die Zahl der winzig kleinen Bodenorganismen schwindet, verschlechtert sich die Fruchtbarkeit des Bodens.

Kniff Nummer zwei: Nicht nur streng geschützte Gebiete wie Nationalparks oder Vogelschutzgebiete werden dazugerechnet, sondern etwa auch Flächen in Landwirtschaftsgebieten, die genutzt werden, aber einen ökologischen Mehrwert bieten. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie gross der ökologische Wert einer Ausgleichsfläche auf einem Acker ist, wenn diese Fläche nach acht Jahren Vertragsdauer wieder umgepflügt werden darf.

Finanzen als möglicher Spaltpilz

Genau wie auf der gerade beendeten UN-Klimakonferenz dürfte auch hier eine der meistdiskutierten Fragen jene der Entschädigung sein: Wie werden die ärmsten Länder dafür entschädigt, wenn sie ihre Biodiversitäts-Hotspots schützen und damit auf eine mögliche wirtschaftliche Entwicklung zumindest teilweise verzichten?

Warum eine chinesische Konferenz in Kanada?

Eigentlich hätte die Biodiversitätskonferenz schon vor zwei Jahren in der chinesischen Stadt Kunming stattfinden sollen. Wegen Corona wurde sie aber zweimal verschoben und findet nun – wiederum wegen der chinesischen Corona-Politik – nicht in Kunming, sondern im kanadischen Montreal statt.

Kanada hat sich als Gastgeber angeboten und ist verantwortlich für die Infrastruktur. Präsidiert wird die Biodiversitätskonferenz aber weiterhin von China. Diese Konstellation könnte sich negativ auswirken auf die Konferenz, wie verschiedene Beobachter befürchten: Einerseits gilt China als nicht sonderlich ambitioniert in Sachen Biodiversität und zweitens liegen sich China und Kanada wegen diverser diplomatischer Zwischenfälle in den Haaren.

Viel zu reden geben wird auch die Erweiterung des sogenannten Nagoya-Protokolls in dem geregelt ist, wie bei der Nutzung zum Beispiel einer Pflanze für pharmazeutische Zwecke das Herkunftsland dieser Pflanze beteiligt und entschädigt wird. Was, wenn anstatt einer physischen Probe nur die digitalisierten DNA-Sequenzen der Pflanze genutzt werden?  Diese Frage könnte zum Spaltpilz der Konferenz zu werden. Der Streit ums Geld droht den Kampf, um den Erhalt der Artenvielfalt in den Hintergrund zu drängen.