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Blick von einer Kathedrale nach unten. Zu sehen ist ein kleines Türmchen der Kathedrale und eine Frau, sie über den Kirchplatz geht.
Legende: Alles eine Frage der Perspektive: Zwar gehört man keiner Religion an, hält sich aber an zahlreiche religiöse Rituale. Keystone

Bühne Michèle Roten: «Glaube ist heute ein Flickwerk»

Mit ihrem ersten Theaterstück beendet Michèle Roten ihren einjährigen Aufenthalt als Hausautorin am Konzert Theater Bern. In «Wir sind selig oder: Oder.» versucht sie herauszufinden, woran Menschen heute glauben können, dürfen oder wollen – in gnadenloser, humorvoller Manier.

Selig sein ist etwas anderes als glücklich sein. Seligkeit meint einen Zustand der totalen Erfüllung, nicht nur materiell – sondern auch spirituell. Wer heute nicht in jedem Lebensbereich erfüllt ist, hat etwas falsch gemacht. Bloss, was? Denn wie man es richtig macht, das weiss in der Multioptionsgesellschaft leider auch niemand. Am allerwenigsten wissen es die zwei gut situierten urbanen Paare, um die sich das erste Theaterstück von Michèle Roten dreht.

«Glauben und Zweifeln»

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Die aktuelle Spielzeit am Konzert Theater Bern steht unter dem Motto «Glauben und Zweifeln». Michèle Roten hat als Hausautorin ein Jahr am Konzert Theater Bern verbracht und drei Theaterpredigten verfasst. « Wir sind selig oder: Oder. » ist ihr Debütstück und kommt am 5. Juni in der Inszenierung von Nina Gühlstorff zur Premiere.

Das Drama einer Fehlgeburt

Die gehobenen Ansprüche der Figuren Anna und Eric, Sophie und David widerspiegeln sich in der Möblierung ihrer Loft- und Altbauwohnungen. Ob Klassiker oder Avantgarde: Design muss sein!

Das Unglück aber bricht in Form einer Fehlgeburt über Anna und Eric ein. Das unter grössten Anstrengungen empfangene Kind stirbt, noch bevor es geboren wird. Ein Fötus, keine 300 Gramm schwer, markiert das Ende eines durchgestylten Vorzeigelebens.

Trauer auf Twitter?

Nun geraten sich Anna und David wegen der Frage in die Haare, ob man das traurige Ereignis per Tweet verbreiten soll oder nicht. Wie soll man die eigene Trauer gestalten, kommunizieren, ausleben? Für solche Fragen gibt es kein Regelwerk, keine App, keine Help-Line.

Die um das Kind betrogenen Eltern ackern sich am Verlust und seinen Folgen ab, bis nicht mehr viel übrig bleibt von ihren bisherigen Überzeugungen. Begleitet werden sie dabei von Sophie und David, Therapiestunden, Yoga und Rotwein. Mit wachsender Verzweiflung entlarven sie sich gegenseitig und hinter ihren gepflegten Lebenszielen – Karriere, Kinder, Zukunft – massenhaft Lügen, Ungereimtheiten, Selbstzweifel.

Buchhinweis

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Porträt von Michèle Roten
Legende: Tom Haller/Echtzeit Verlag

Das Theaterstück von Michèle Roten erscheint auch in Buchform:

Michèle Roten: «Wir sind selig. Ein Stück.» Echtzeit Verlag, erscheint Anfang Juni 2015.

Der Generation Y den Puls gefühlt

Um herauszufinden, wie es um den Glauben in ihrer Generation bestellt ist, hat die Zürcherin Michèle Roten den Menschen in ihrem Umfeld zugehört. «Es gehört heute zum guten Ton der gebildeten urbanen Schicht, nicht gläubig zu sein, also keiner Religion anzugehören», hat die Autorin festgestellt und fügt an: «Das spitzt sich noch zu, wenn Kinder ins Spiel kommen.»

In ihrem ersten Theaterstück hat sie sich denn auch auf dieses Thema konzentriert. «Plötzlich macht man Sachen – von Globuli über nicht wissenschaftlich belegte Therapien –, ohne sie zu hinterfragen.» Das hat Michèle Roten überrascht.

Eine schonungslose Befindlichkeitsanalyse

Bei näherem Hinschauen seien da nämlich jede Menge religiöse Traditionen und Rituale auszumachen. «Glaube ist heute nicht nur Religion, es ist ein zusammengeschustertes Flickwerk aus Haltungen und Überzeugungen», sagt sie. Mit diesen Haltungen und Überzeugungen seien aber christliche Glaubensinhalte gemeint.

Beitrag zum Thema

Die Generation Y, welche mit dem Credo der Selbstverwirklichung gross geworden ist, hat also ein ambivalentes Verhältnis zu den eigenen Überzeugungen. Michèle Roten bringt das in ihrem ersten Theaterstück «Wir sind selig oder: Oder.», das eine schonungslose Befindlichkeitsanalyse ihrer Generation ist, auf den Punkt. Mit bissig-witzigen Dialogen und einer Prise Selbstironie.

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