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Andalusien: Mehr Bauen trotz weniger Touristen
Aus Tagesschau vom 14.06.2020.
Bild: EPA/Juan Ferreras abspielen. Laufzeit 3 Minuten 15 Sekunden.
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Spiritueller Reiseführer Granada hat mehr zu bieten als die Alhambra

Die Festung Alhambra erzählt von der Zeit, als die Mauren in Andalusien herrschten. Einen ganz besonderen Moment erlebte unsere Autorin aber jenseits des Touristenmagnets.

«¿Cómo podría yo vivir sin ella?» – «Wie könnte ich nur ohne sie leben?» schmettern die beiden Flamenco-Sänger und lassen dabei ihre Finger nacheinander über die Gitarrensaiten flitzen. Ich stehe am Mirador de San Nicolás, dem Platz mit der wohl besten Sicht auf die Alhambra.

Über 700 Meter ist die Festung lang, 220 Meter breit, aus rotem Stein, woher sie auch ihren Namen hat: die rote Burg. Dahinter das Gebirge, die Sierra, darunter dichte Bäume.

Im Strom der Touristen

Die Alhambra ist als UNESCO-Weltkulturerbe einer der grössten Touristenmagnete Europas, und zweifelsohne ist diese maurische Festung samt Gärten und Palästen beeindruckend schön.

Panoramafoto rötlicher Steinpalast, davor grüne Bäume, dahinter Berge.
Legende: Die Alhambra und das Wohnviertel Albaycín sind eine reiche Fundgrube maurischer Architektur. SRF / Dorothee Adrian

Doch die Masse an Touristinnen und Touristen erschwert oder verunmöglicht, diesen Ort voll filigraner Schönheit auf sich wirken zu lassen. Zu dicht, zu eng, zu viele selfiemachende Menschen. Eine kurze Bewunderung der reichhaltigen Verzierungen und weiter geht’s im Strom der Besucher.

Zur Geschichte Granadas

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Der Süden Spaniens wurde von 711 bis 1492 von Islamischen Herrschern regiert. In verschiedenen Städten Andalusiens ist dieses Erbe noch sehr sichtbar.

Die sogenannte «Rückeroberung», die Reconquista durch die spanischen Könige, endete mit der Vertreibung des letzten Königs der Alhambra Boabdil am 2. Januar 1492. Die grossen christlichen Kathedralen in Granada markieren diesen Sieg.

Die Alhambra und weitere islamische Bauwerke blieben erhalten. In den Gassen des arabischen Viertels Albaicín gibt es Teehäuser und viele kleine Läden mit arabischen Souvenirs. Weitgehend verschwunden sind hingegen die jüdischen Spuren in Granada. Sie werden gerade erst wiederentdeckt, etwa im kleinen jüdischen Museum.

Auch der Sacromonte etwas abseits des Zentrums ist einen Abstecher wert. Ein Museum zeigt das Leben der Roma in den Höhlen des «Heiligen Bergs». Bis heute leben Menschen in Höhlen in den Bergen Granadas.

Unverhofft ins Bañuelo

Wie es der Zufall wollte, gab es bei meinem Besuch vor einigen Jahren Eintrittskarten für die Alhambra nur noch in Kombination mit mehreren unbekannteren Sehenswürdigkeiten im Albaicín, dem alten arabischen Viertel Granadas. So kommen meine beste Freundin und ich zum Bañuelo, dem ältesten erhaltenen arabischen Bad Granadas.

alte Steinmauern mit Säulenbögen, grau, unten beleuchteter, bläulicher Steinboden
Legende: Vom 11. bis ins 16. Jahrhundert wurde im Bañuelo gebadet. Erst im 20. Jahrhundert wurde das arabische Bad restauriert. Getty Images / Victor Ovies Arenas

Im Mittelalter war das Bad ein Treffpunkt, an dem sich islamische Menschen wuschen, Haare schneiden liessen, miteinander Tee tranken und sich austauschten. Das Wasser sollte auch den inneren Menschen reinigen. Die Waschung war also auch ein religiöser, spiritueller Akt.

Wir kommen Jahrhunderte später. Erst 2017 wurde dieses alte Bad für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es gibt keine Becken mehr, die Böden sind trocken. Ganz anders also als in anderen Hamams in Granada, die mit heissen und kühleren Wasserbassins und Massageangeboten in Betrieb sind.

Verzückt vom Schattenspiel

Wir treten in die dunklen Räume ein, die durch Bögen miteinander verbunden sind. Der Boden, die Wände und Deckengewölbe sind aus Stein. Grau, rau und kühl. Es ist still im Bañuelo. Automatisch werden auch wir leise und staunen. Die Schönheit des Ortes berührt uns gerade in ihrer Schlichtheit.

Von oben strahlt Licht durch viele kleine Öffnungen, runde und sternförmige, die das Tageslicht gebündelt hereinlassen. Wir schauen auf und flüstern: «Wir sehen den Sternenhimmel.» Ein Schattenspiel, ein Zwielicht entsteht.

Frau mit Tuch um den Kopf gebunden steht in altem, steinernen Raum. Von oben Licht, achteckige und sternförmige Fenster
Legende: Die sternförmigen Öffnungen erzeugen nicht nur eine einmalige Stimmung, sie dienten auch der Badbelüftung. SRF / Dorothee Adrian

Wir stellen uns vor, hier im Wasser zu liegen, über uns das Firmament. Und plötzlich erleben wir einen Moment, zu dem mir das vielleicht etwas kitschige Wort «Verzückung» in den Sinn kommt. Wir tauchen ein und sind Teil einer grösseren Erfahrung, ohne etwas dafür zu tun. Wir sind einfach da. Verzückung, weil dieser Zauber uns überrascht, wir nichts geplant oder geahnt haben. Unverhofft sind wir hier, an einem wunderbaren Ort. Wir fallen durch die Zeit.

Die Wände schützen diese alten Bäder, und doch sind die Räume durch die Lichtschächte verbunden mit dem Aussen. Wir wandeln zwischen den Torbögen umher, spielen mit dem Licht Verstecken, schliessen die Augen, lächeln. Wir schauen uns an und sagen: Was für ein Glück, dass es die Alhambra-Tickets nicht einzeln gab.

SRF-Sommerserie «Spiritueller Reiseführer»

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Um sich spirituell bereichern zu lassen, reisen manche um die halbe Welt – anderen genügt ein Spaziergang vor der Haustür. Dabei gilt oft: Die besten Geschichten findet man abseits ausgetretener Pfade. Persönliche Geschichten unserer Autorinnen und Autoren, die dazu anregen, sich auf die Reise zu machen.

Radio SRF 4 News, Rendez-vous, 03.07.2023, 12:30 Uhr

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