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Roman «Als die Welt entstand» Kindsein zwischen Kirche, Kommunismus und Nazi-Kollaborateuren

Im neuen Roman des slowenischen Erfolgsautors Drago Jančar wächst ein Junge inmitten gesellschaftlicher und menschlicher Verwerfungen auf – und findet Rettung in der Fantasie.

Danijel, die Hauptfigur in Drago Jančars Roman, ist zwölf. Er lebt zu Beginn der 1960er-Jahre im slowenischen Maribor, das damals zum sozialistischen Jugoslawien gehört. Die Gesellschaft ist durch den Zweiten Weltkrieg zerrissen.

Drago Jančar schildert die bestürzenden Zustände mit grosser Kunst, so wie man es vom 1948 geborenen Autor aus Slowenien gewohnt ist. Er arbeitet mit kurzen Schilderungen, Andeutungen, knappen Dialogen. Dabei entwickelt er eine enorme sprachliche Kraft.

Damaliges Jetzt, Heutiges Damals

Jančar lässt abwechselnd zwei Erzähler zu Wort kommen. Einerseits den jugendlichen Danijel, der aus dem damaligen Jetzt berichtet, und andererseits den gealterten Protagonist. Er erzählt von heute aus und blickt zurück.

Historische Postkartenansicht von Maribor im Jahre 1935, damals «Marburg an der Drau»
Legende: Die Postkartenansicht zeigt das malerische Städtchen Maribor in Slowenien, Ort des Geschehens im Roman «Als die Welt entstand». Die Erlebnisse der Hauptfigur sind alles andere als idyllisch. IMAGO / Arkivi

Durch die beiden Perspektiven entsteht eine wohltuende Distanz. Sie lässt eine unreflektierte Identifikation mit dem Geschehen nicht zu. Das ist gut so, denn Danijels Erlebnisse sind bisweilen schwere Kost.

Jančar zeichnet ein Zeitgemälde

Da sind etwa die tiefen Gräben, die mitten durch die Familien gehen. Danijels Vater ist ein ehemaliger Partisan und glühender Kommunist. Im sozialistischen Jugoslawien unter Tito erliegt er einer kollektiven Psychose: Er glaubt, das Land sei daran, sich zu einer hell leuchtenden «besten aller Welten» zu entwickeln.

Danijels Mutter hingegen kümmert sich kaum um Politik, dafür umso mehr um Religion. Trotz staatlich verordnetem Atheismus betet sie im Geheimen und schleicht sich manchmal in die Kirche. Sie wagt es sogar, auch ihren Sprössling zwecks religiöser Unterweisung dorthin zu schicken. Ganz zum Ärger ihres Ehegatten.

Getuschel, Konflikte und ein Mord

Danijel ist verwirrt. Ist Gott nun tot, oder doch nicht? Die Eltern, die ausschliesslich in den Kategorien schwarz und weiss denken, sind für eine Antwort nicht zu gebrauchen.

Was Danijel zusätzlich verunsichert: Das dauernde Gerede. Über Leute, die im Krieg Hitler nachgelaufen sind, die gar als Soldaten des «Führers» gen Russland gezogen sind. Sie stehen jetzt am Schandpfahl. Danijels Konflikt: Sein bester Freund ist der Sohn eines Kollaborateurs.

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Vollends überfordert ist Danijel schliesslich, als er einen grässlichen Mord miterlebt – in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Es geht um Eifersucht und enttäuschte Liebe. Zu einer Frau wohlgemerkt, für die Danijel selbst auch erste erotische Gefühle entwickelt hat.

Coming-of-Age-Geschichte

Anders als man vermuten könnte, wird Danijel nicht zum Opfer der Umstände. Der Roman zeigt vielmehr, dass der Knabe reift und wächst.

Zu Hilfe kommt ihm sein Talent. Für all das Unverdauliche, das die Erwachsenen anrichten, erfindet er Geschichten. Wie es im Roman poetisch heisst, befreit er «die Seele aus ihrem Gefängnis» und befährt «auf der Barke des Traums mäandernde Flüsse».

Buchhinweis

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Drago Jančar: «Als die Welt entstand.» Zsolnay, 2023.

Drago Jančar bringt dabei, wie schon in früheren Werken, auch biblische Mythen ins Spiel. David und Goliath oder Daniel in der Löwengrube sind gute Anregungen für den Knaben, sich Geschichten über das abgründige Verhalten der Menschen in seiner Umgebung auszudenken und damit dem Erlebten den unkontrollierten Schrecken zu nehmen.

Auf diese Weise werden die Geschehnisse im Roman zu archetypischen Schilderungen. Sie handeln von weit Tieferem als ausschliesslich von Danijels Erwachsenwerden oder vom historischen Jugoslawien. Sie erzählen vom Menschen.

Radio SRF 2 Kultur, Literaturclub: Zwei mit Buch, 25.09.2023, 18:30 Uhr.

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