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Sex im Altersheim «Liebe kennt kein Alter»

Eine erfüllte Sexualität ist auch im Altersheim möglich. Das zeigen diese beiden Beispiele.

Bernhard Utz (78) und seine Partnerin Eleonora Keller* (95) sitzen gemeinsam in der Hollywood-Schaukel im Garten des Gesundheitszentrums Trotte in Zürich. Es ist ihr Lieblingsort: Jeden Tag kommen sie gemeinsam hierher, um zu verweilen. Sie lachen sich an, küssen und umarmen sich, wirken wie frisch verliebt.

«Ich war sehr überrascht, als ich mich nochmals verliebt habe», sagt Bernhard Utz und lacht. «Ich dachte immer: Jetzt bin ich alt und lebe sowieso nicht mehr lang – und jetzt habe ich doch wieder neue Gefühle.»

Bernhard Utz und seine Partnerin sitzen gemeinsam in der Hollywood-Schaukel.
Legende: Bernhard Utz und seine Partnerin haben sich im Gesundheitszentrum Trotte in Zürich kennengelernt und verbringen seither jede freie Minute miteinander. SRF

Mit dem Alter ist der Sex schöner geworden

Kennengelernt haben sich Bernhard Utz und Eleonora Keller im Gesundheitszentrum Trotte. Sie begegneten sich immer wieder, sprachen aber nie länger miteinander. «Eines Tages fragte mich Eleonora, ob wir zusammen ein Glas Wein trinken. Ich sagte: Warum nicht? Dann fragte sie mich, ob sie mich küssen dürfe. Da sagte ich nichts mehr.»

Sie küssten sich und schliefen später miteinander. Seither sind sie ein Paar. Bernhard Utz ist kaum mehr in seinem eigenen Zimmer anzutreffen. Meistens ist er im Zimmer seiner Partnerin. Er schläft bei ihr und kümmert sich um sie, hilft ihr etwa beim Duschen und cremt sie ein.

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Ist Ihnen eine ähnliche Liebesgeschichte begegnet oder haben Sie sogar ähnliches erlebt? Schreiben Sie es uns am Ende dieses Artikels in die Kommentare.

Natürlich sind wir nicht mehr ganz so beweglich, aber die Lust ist immer noch da.
Autor: Bernhard Utz (78) Bewohner des Gesundheitszentrums Trotte Zürich

Der Sex sei nicht viel anders als früher: «Natürlich sind wir nicht mehr ganz so beweglich, aber die Lust ist immer noch da.» Mit dem Alter sei der Sex sogar noch schöner geworden. Man könne etwa die Bedürfnisse besser äussern. Dass der Körper älter und faltiger wird, stört Bernhard Utz überhaupt nicht: «Das Alter hat Spuren hinterlassen, aber es hält uns nicht ab, uns zu berühren.»

Bernhard Utz sitzt im Gartenstuhl und lacht.
Legende: Bernhard Utz hat auch im Altersheim ein erfülltes Sexualleben. SRF

«Nicht stören»-Schilder für mehr Privatsphäre

Dass man trotz hohen Alters ein erfülltes Sexualleben haben kann, weiss auch der 79-jährige Willi Kull, der ebenfalls im Gesundheitszentrum Trotte in Zürich lebt: «In der Liebe spielt das Alter keine Rolle. Das ist ein Thema, das den Menschen das ganze Leben beschäftigt.»

Ich habe geweint wie ein Schlosshund. Ich hatte sie so gerne. Sie fehlt mir sehr.
Autor: Willi Kull (79) Bewohner des Gesundheitszentrums Trotte in Zürich

Im Altersheim, in dem er zuvor gelebt hatte, verliebte er sich in eine zehn Jahre ältere Frau. Sie hatten eine sehr schöne Beziehung, bis sie vor einem Jahr verstorben ist: «Ich habe geweint wie ein Schlosshund. Ich hatte sie so gerne. Sie fehlt mir sehr.»

Willi Kull sitzt in seinem Atelier im Altersheim «Alte Trotte» in Zürich.
Legende: Willi Kull hat weniger Lust, seit seine Medikamente neu eingestellt wurden. Deswegen konzentriert er sich aktuell auf sein Hobby, die Malerei. SRF

Er wünscht sich wieder eine Beziehung, hat im Altersheim auch schon ein paar Frauen getroffen, aber so richtig gefunkt hat es bisher nicht. Deshalb konzentriert er sich aktuell auf sein Hobby, die Malerei.

Ich hatte manchmal das Gefühl, überwacht zu werden.
Autor: Willi Kull (79) Bewohner Gesundheitszentrum Trotte Zürich

Die Sexualität hatte für Willi Kull schon immer einen grossen Stellenwert. Sie im Altersheim zu leben, war aber nicht immer einfach: «Im vorherigen Altersheim hatte ich manchmal das Gefühl, überwacht zu werden.» Dieses Gefühl habe er heute glücklicherweise nicht mehr. Wie in Hotels gebe es jetzt «Nicht stören»-Schilder, die man vor die Tür hängen könne.

Überhaupt ist es heute vielen Altersheimen wichtig, die Autonomie und Privatsphäre der Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren. «Die Menschen sollen hier möglichst so leben können wie vorher. Sie dürfen bei uns machen, was sie wollen – natürlich vorausgesetzt, dass niemand unter ihrem Verhalten leidet», sagt Benjamin Karli, Leiter Betreuung und Pflege in der Trotte.

Willi Kull sitzt in seinem Atelier, den Kopf in die Hand gestützt.
Legende: Willi Kull hat vor einem Jahr seine Partnerin verloren. Er wünscht sich wieder eine Beziehung, bisher hat es aber noch nicht richtig gefunkt. SRF

Wenn sich im Altersheim ein neues Paar bildet, sucht man das Gespräch mit den betroffenen Personen – um sich zu vergewissern, dass es zu keinen Übergriffen kommt. Wenn die Pflegenden zum Schluss kommen, dass alles im grünen Bereich ist, lässt man das Paar gewähren.

Wenn der demente Ehemann im Heim eine zweite Beziehung führt

Autonomie wird auch im Pflegeheim Sonnweid in Wetzikon grossgeschrieben. Das Heim ist auf Menschen mit Demenz spezialisiert. Demenz und sexuelle Autonomie – schliesst sich das nicht aus? Auf keinen Fall, sagt Monika Kehrein, Leiterin Pflegedienst in der Sonnweid: «Sexualität ist ein Grundbedürfnis – auch für Menschen mit Demenz. Wir machen die Erfahrung, dass es den Menschen guttut, wenn sie ihre Sexualität leben können.»

Natürlich müsse man bei Menschen mit Demenz besonders genau hinschauen, ob die Beziehung gleichberechtigt sei. Doch wenn das der Fall ist, versuchen die Pflegenden, Raum zu schaffen für Liebe und Sexualität. Eine Bewohnerin durfte in ihrer Zeit in der Sonnweid nochmals zwei Beziehungen erleben. Das sei eine sehr schöne Zeit für sie gewesen, sagt Monika Kehrein.

Wenn ihm das guttut, dann lassen wir ihn machen. Das geht niemanden etwas an, nur mich und meinen Mann.
Autor: Ehefrau eines Bewohnenden

In Erinnerung geblieben ist ihr noch eine andere Geschichte: Ein Mann mit Demenz hatte in der Sonnweid eine Beziehung – obwohl er glücklich verheiratet war und seine Frau ihn regelmässig besuchen kam. Für Monika Kehrein war klar: Früher oder später würde es seine Ehefrau herausfinden – sie musste also das Gespräch suchen.

Die Reaktion der Frau war dann umso überraschender: «Wenn ihm das guttut, dann lassen wir ihn machen. Das geht niemanden etwas an, nur mich und meinen Mann.»

Bei sexuellen Übergriffen klare Grenzen setzen

Es kommt auch vor, dass die Sexualität in gemeinschaftlichen Räumen ausgelebt wird: «Es kann beispielsweise sein, dass ein Mann im öffentlichen Raum seine Hand an die Brust seiner Partnerin legt. Dann liegt es an uns, die betroffenen Personen zu schützen und ihnen einen privaten Raum zu geben, wo sie ihre Bedürfnisse befriedigen können.»

Bisweilen kommt es auch zu sexuellen Übergriffen gegenüber dem Personal. Dann müsse man ganz klare Grenzen setzen, sagt Monika Kehrein: «Die Pflege für den Moment sein lassen, nach draussen gehen und später wiederkommen. Und wenn es möglich ist: über Grenzen sprechen.»

Eine Lösung des Problems sieht sie auch darin, den Bewohnerinnen und Bewohnern Möglichkeiten zu bieten, die sexuellen Bedürfnisse anderweitig auszuleben – ohne dass dabei die Pflegenden belästigt werden. Beispielsweise könne eine Berührerin engagiert werden.

Es wird nicht über Sex gesprochen

Sowohl die Trotte als auch die Sonnweid versuchen, offen mit dem Thema Sexualität umzugehen. Dennoch ist es nach wie vor ein Tabu. Die Menschen im Altersheim sprächen kaum über Sex, sagen Bernhard Utz und Willi Kull.

Dass die wenigsten Menschen bereit sind, offen über dieses Thema zu sprechen, zeigte sich auch bei der Recherche für diesen Artikel: Von über 40 angefragten Alterszentren meldete sich eines zurück (Trotte). Und von den über 100 Bewohnenden in der Trotte waren schliesslich zwei bereit, ihre Geschichte zu erzählen.

Wir tun als Gesellschaft zwar so, als seien wir völlig offen, doch wenn es persönlich wird, sind viele Menschen sprachlos.
Autor: Caroline Fux Sexologin

Sexologin Caroline Fux wundert das nicht: «Wir tun als Gesellschaft zwar so, als seien wir völlig offen, doch wenn es persönlich wird, sind viele Menschen sprachlos.» Sexualität im Altersheim sei quasi ein doppeltes Tabu: «Alterssexualität ist eher negativ behaftet: Ab 50 ist es für Männer schwieriger, eine Erektion zu bekommen. Und die Wechseljahre stellen für viele Frauen eine Zäsur dar.»

Gewisse Menschen wollen im Alter tatsächlich nichts mehr von Sex wissen. Bei anderen wiederum – zum Beispiel bei Bernhard Utz und Willi Kull – bleibt die Lust bis ins hohe Alter bestehen. Die Sexualität entwickle sich bei jedem Menschen unterschiedlich, sagt Caroline Fux. Umso wichtiger sei es, offen darüber zu sprechen.

Queere Sexualität im Altersheim

Ein Thema, das nochmals stärker tabuisiert wird, ist queere Sexualität im Altersheim. In seinen 13 Jahren als Pflegedienstleiter hat Vincenzo Paolino keine einzige ältere Person betreut, die ihm gegenüber queer aufgetreten ist – und dies, obwohl er seine eigene Homosexualität offen gelebt hat: «Das ist schon rein statistisch unmöglich.»

Vor allem die älteren queeren Menschen haben viele Diskriminierungen erlebt, wurden von der Polizei verhört oder festgenommen – da verstehe ich, dass man vorsichtig ist.
Autor: Vincenzo Paolino Mitgründer des Vereins «queerAltern»

Den Grund sieht der Mitgründer des Vereins «queerAltern» darin, dass sich queere Menschen im Altersheim nicht noch einmal outen wollen: «Vor allem die Älteren haben viele Diskriminierungen erlebt, wurden von der Polizei verhört oder festgenommen – da verstehe ich, dass man vorsichtig ist.»

Im Jahr 2025 wird in der Stadt Zürich deshalb die erste Alterssiedlung eröffnet, in der ein Haus für queere Bewohnende reserviert ist. Auf diese Weise soll es queeren Menschen dereinst möglich sein, auch im Alter ihre Sexualität offen zu leben.

Auch mit fast 100 eine erfüllte Sexualität

Bernhard Utz und Eleonora Keller sind derweil von «ihrer» Hollywoodschaukel aufgestanden: Es ist zu heiss geworden im Garten. Sie gehen Arm in Arm zurück zum Eingang des Alterszentrums – als lebendes Beispiel dafür, wie erfüllt Sexualität im Altersheim sein kann.

*Name geändert

Radio SRF 1, Online-Talk, 13.9.2022, 15:15 Uhr

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