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Warum wird bei der SBB nicht gestreikt?
Aus Audio SRF 1 vom 25.01.2024. Bild: Keystone / Urs Flüeler
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Streik bei der Deutschen Bahn Warum wird eigentlich bei der SBB nie gestreikt?

Bei der Deutschen Bahn wird gestreikt – schon wieder. Während sich die Menschen in Deutschland ärgern und ihre Pendelstrecke neu organisieren müssen, geht bei uns in der Schweiz alles seinen gewohnten Gang.

Seit dem Generalstreik von 1918 kam es beim Personenverkehr der SBB eigentlich zu keinen Streiks mehr, weiss Christian Koller.

Christian Koller

Christian Koller

Direktor Schweizerisches Sozialarchiv

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Der Titularprofessor an der Universität Zürich ist Historiker und beschäftigt sich mit industriellen Beziehungen.

SRF: Warum wird bei der SBB nie gestreikt?

Christian Koller: Bei der SBB gibt es im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) eine Klausel, die die «absolute Friedenspflicht» erfordert. «Absolut» bedeutet, dass sich diese Friedenspflicht nicht nur auf vertraglich geregelte Angelegenheiten bezieht. In der Schweiz sind Friedenspflicht-Klauseln seit dem 2. Weltkrieg üblich. Darum wird hier auch weniger gestreikt.

Der wirtschaftliche Schaden der Streiks

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In Deutschland ist der Schaden eines Streiks riesig. Pro Tag kostet ein bundesweiter Bahnstreik rund 100 Millionen Euro an Wirtschaftsleistung. Dies sagte Michael Grömling, Konjunkturchef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft gegenüber dem «Spiegel». Zahlen aus der Schweiz gibt es keine. Aber bei über einer Million Passagiere, die die SBB pro Tag transportieren, dürfte der Schaden auch hier enorm sein.

Das Streikverbot geht aber noch weiter zurück?

Bei der SBB hatten viele Mitarbeitende ab 1927 bis Ende des 20. Jahrhunderts einen Beamtenstatus. Dieser beinhaltete bereits ein absolutes Streikverbot. Das bedeutet, es gab jahrzehntelang die Tradition, dass man überhaupt nicht streiken durfte. Diesen Beamtenstatus gibt es heute nicht mehr, stattdessen aber die Friedenspflicht im GAV.

In Deutschland auf der anderen Seite haben Streiks bei der Bahn quasi eine Tradition.

In Deutschland wird im Vergleich zur Schweiz in den meisten Branchen anders verhandelt. Beim Aushandeln eines GAV erzielt man in der Schweiz in den meisten Fällen eine Einigung. In Deutschland wird hingegen bereits während der Verhandlungen zu Arbeitskampfmassnahmen aufgerufen, um der eigenen Position Nachdruck zu verleihen.

Ein Streik im Schweizer ÖV ist nicht völlig undenkbar. Es hat aber bisher nie die SBB getroffen.

Ein weiterer Punkt: Im Eisenbahnbereich in Deutschland konkurrieren sich zwei verschiedene Gewerkschaften. Beide wollen sich profilieren und buhlen um Mitglieder.

Können wir in der Schweiz also beruhigt sein?

Es gibt auch bei der SBB oft Diskussionen darüber, wie gut sie als Arbeitgeberin ist. Aber das ist sicherlich nicht auf dem Niveau, das man aus anderen Ländern kennt. Käme die SBB mit abstrusen Arbeitszeitforderungen oder massiven Lohnkürzungen, glaube ich, dass es auch in der Schweiz zu Streiks kommen könnte, trotz Vertragsklausel.

Streiks im öffentlichen Verkehr der Schweiz

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Schwarz/Weissbild einer Lokomotive, die von Soldaten bewacht wird.
Legende: Landesstreik 1918 Soldaten der Schweizer Armee sind als Sicherungswachen auf den Lokomotiven postiert. Keystone

Auch in der Schweiz war der öffentliche Verkehr schon von Streiks betroffen. Vor der Fusion der Privatbahnen in der Schweiz waren sie immer wieder von Arbeitsniederlegungen betroffen. Ein besonders grosser Streik war der Landesstreik von 1918, der einen bedeutenden historischen Wendepunkt markierte.

Es gab auch kleinere Streiks, wie zum Beispiel im Jahr 2008 in den SBB-Werkstätten in Bellinzona (TI). Etwa 430 Arbeiter legten ihre Arbeit nieder, da die SBB Cargo die Schliessung der Werkstätten in Erwägung zog. Im Jahr 2011 wurde ein Depot der Zürcher Verkehrsbetriebe für vier Stunden bestreikt, wobei die Auswirkungen begrenzt blieben. 2017 gab die Schifffahrtsgesellschaft Lago Maggiore ihre Arbeit aufgrund von 34 ausgesprochenen Kündigungen nieder. Auch bei den Genfer Verkehrsbetrieben gab es kürzlich einen Streik.

«Es ist also nicht so, dass es in der Schweiz völlig undenkbar wäre, dass im öffentlichen Verkehr gestreikt wird», sagt Christian Koller, Direktor des schweizerischen Sozialarchivs, «es hat einfach bis jetzt nie die SBB betroffen.»

Ein solcher hätte nicht nur für die Bahn einen immensen Schaden, sondern auch volkswirtschaftliche Auswirkungen. In Deutschland ist man sich solche Ausfälle eher gewohnt.

Das Gespräch führte Rouven Born.

Radio SRF 1, 25.01.2024, 6:40 Uhr;

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