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Lehrpersonenmangel Ohne Lehrdiplom unterrichten – funktioniert das?

In der Schweiz werden Schulklassen aufgrund des Lehrpersonenmangels vermehrt von Personen ohne Lehrdiplom unterrichtet. Wir stellen drei Menschen vor, die sich auf dieses Wagnis eingelassen haben.

Der Lehrpersonenmangel in der Schweiz ist akut. Das Bundesamt für Statistik (BFS) rechnet mit einem Mangel von 10'000 Lehrkräften bis 2031. Dies, obwohl jedes Jahr mehr Menschen an Pädagogischen Hochschulen (PH) ausgebildet werden: An der PH Zürich etwa hat die Zahl der Studierenden zwischen 2017 und 2021 um 40 Prozent zugenommen.

Die Gründe für den Lehrpersonenmangel sind vielfältig: steigende Schülerzahlen, die Pensionierungswelle bei den Babyboomer-Jahrgängen oder mehr Teilzeitstellen. Um dem Mangel an Lehrkräften entgegenzuwirken, kommen in diversen Kantonen Personen ohne Lehrdiplom zum Einsatz – im Kanton Bern schon seit längerem, im Kanton Zürich seit August 2022.

Die Zürcher Bildungsdirektion hatte die Ausnahmeregelung ursprünglich auf ein Jahr beschränkt. Weil sich die Situation nicht beruhigt hat, wurde die Massnahme im März 2023 um ein Jahr verlängert.

Auch im neuen Schuljahr dürfen Personen ohne Diplom unterrichten

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Im März 2023 hat die Zürcher Bildungsdirektion bekannt gegeben, dass der Lehrpersonenmangel an der Volksschule anhalte. Aus diesem Grund dürfen auch im Schuljahr 2023/24 Personen ohne Lehrdiplom an Zürcher Schulen unterrichten.

Nach Möglichkeit sollten Schulklassen maximal ein Jahr von einer Person ohne Lehrdiplom unterrichtet werden. Falls sich eine Neueinsteigerin gegen eine Ausbildung an der PH entscheidet, sollte sie nicht weiter dieselbe Klasse unterrichten. Sie kann aber von einer anderen Schulgemeinde wieder für ein Jahr angestellt werden.

Rund 70 der über 500 Personen ohne Lehrdiplom im Kanton Zürich wurden zum neu geschaffenen Aufnahmeverfahren «sur dossier» zugelassen. Sie können neben der Ausbildung weiter Teilzeit an einer Schule arbeiten.

Weitere 30 Personen absolvieren voraussichtlich den Studiengang für Quereinsteigende. Bedingung dafür ist ein Hochschulabschluss. Insgesamt möchte also etwa ein Fünftel der Neueinsteiger längerfristig im Beruf bleiben.

(Quelle: Bildungsdirektion des Kantons Zürich)

Ohne Diplom, mit viel Engagement

Doch wie läuft es in den Klassen, in denen Personen ohne Lehrdiplom unterrichten? Ein Forschungsprojekt der PH Zürich, in dem 14 Personen ohne Lehrdiplom begleitet werden, gibt erste Anhaltspunkte.

Es funktioniere augenscheinlich, sagt Projektleiter Tobias Leonhard. In erster Linie dank den Personen ohne Diplom, die sehr viel Engagement zeigen: «Sie leisten etwas, was aufgrund des Lehrpersonenmangels nicht mehr an allen Schulen selbstverständlich ist: Sie sind verlässlich vor Ort, sie kümmern sich und sie machen Unterricht.» Doch auch die Teams in den Schulen leisten mit ihrer grossen Unterstützung einen wesentlichen Beitrag.

Niemand käme auf die Idee, eine Hausarztpraxis mit einem engagierten Laien zu besetzen, doch in der Schule wird das tatsächlich akzeptiert. Diese Differenz finde ich bemerkenswert.
Autor: Prof. Dr. Tobias Leonhard Pädagogische Hochschule Zürich

Kritik vonseiten der Eltern haben Leonhard und sein Team bisher keine beobachtet. Die Eltern seien in erster Linie froh, dass sich jemand um ihre Kinder kümmert: «Wenn die Kinder in der Schule versorgt sind, die Beziehungsebene stimmt und der Unterricht in der gewohnten Form mit Lehrmitteln stattfindet, dann scheint den gesellschaftlichen Anforderungen an Schule offensichtlich Genüge getan.»

Das sieht Leonhard aber auch kritisch: «Niemand käme auf die Idee, eine Hausarztpraxis mit einem engagierten Laien zu besetzen, doch in der Schule wird das tatsächlich akzeptiert. Diese Differenz finde ich bemerkenswert.»

Früher Polizistin, Fachfrau Betreuung oder Ingenieur – jetzt Lehrperson

Die Personen im Forschungsprojekt kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Im Sample sind etwa zwei Fachfrauen Betreuung, zwei Ingenieure, eine Polizistin, eine Fotofachfrau und eine Ökonomin.

Was sie alle verbindet: Sie haben einen «biografischen Anschluss an den Lehrerinnen-Beruf», wie es Tobias Leonhard ausdrückt. Das heisst: Sie sind in früheren Jobs bereits mit Pädagogik in Berührung gekommen – sei es bei der Betreuung von Kindern, als Tennislehrer oder Reitlehrerin.

Forschungsprojekt der PH Zürich

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Im Forschungsprojekt «Aussergewöhnlicher Berufseinstieg im Kanton Zürich» begleiten Tobias Leonhard und sein Team 14 Personen ohne Lehrdiplom während eines Jahres und untersuchen, vor welchen Herausforderungen diese Personen stehen und wie sie diese bearbeiten.

Dazu werden regelmässige Interviews mit den Personen geführt sowie Elterngespräche und Gespräche innerhalb des Schulteams aufgezeichnet.

Die Mehrzahl der Studienteilnehmenden würde gerne eine Ausbildung starten, doch nicht alle bringen die nötigen Voraussetzungen mit.

Als Gründe gegen eine Ausbildung wird das fortgeschrittene Alter angegeben oder die Möglichkeit, in einem anderen Kanton auch ohne Diplom weiterarbeiten zu können. Einzelne erachten die Bedingungen der PH als inakzeptabel.

(Quelle: Pädagogische Hochschule Zürich)

Die Motivation der Personen im Forschungsprojekt ist unterschiedlich, etwa eine berufliche Neuausrichtung, das Bedürfnis nach einem sinnvollen und krisenfesten Job oder die Chance auf einen sozialen Aufstieg.

Eine Person, die aus dem Ausland eingewandert ist, hatte das Problem, dass ihre Abschlüsse in der Schweiz nicht anerkannt wurden. Die Aufnahme «sur dossier» an der PH ist nun ihre Chance, doch noch zu einem Studium zugelassen zu werden.

Daniel Mathéus, 38, Schauspieler und Regisseur: «Sehr erfüllend»

«Ich unterrichte 60 Prozent Englisch und Deutsch an der Sekundarschule Wila im Zürcher Oberland. Ich war überrascht, wie schnell ich eine intensive Beziehung zu den Jugendlichen aufbauen konnte. Das ist wirklich etwas sehr Besonderes: Plötzlich gibt es viele Jugendliche in meinem Leben, die mir total wichtig sind.

Meine Vorbildung als Schauspieler und Regisseur ist hilfreich: Ich fühle mich sicher vor der Klasse, auch wenn nicht genau das passiert, was ich geplant habe.
Autor: Daniel Mathéus Lehrer, Schauspieler und Regisseur

Die fachlichen Anforderungen hatte ich etwas überschätzt: Ich hatte erwartet, dass mein mangelndes Fachwissen in deutscher und englischer Grammatik eine grössere Hürde darstellen würde.

Meine Vorbildung als Schauspieler und Regisseur ist hilfreich: Ich fühle mich sicher vor der Klasse, auch wenn nicht genau das passiert, was ich geplant habe. Eine besondere Herausforderung ist das alters- und niveaudurchmischte Lernen an meiner Schule. Da muss ich mich immer wieder fragen: Wie passe ich meinen Unterrichtsstil den unterschiedlichen Niveaus an?

Daniel Mathéus, blaue Augen, rötliche Haare, blickt ernst in die Kamera.
Legende: «Trotz meiner Ausbildung 4.5 Jahre an die PH – das ist zu viel» Daniel Mathéus hat einen Master in Bewegungstheater, einen fast abgeschlossenen Bachelor in pädagogischer Psychologie und bald ein Jahr Berufserfahrung als Lehrer. Er versteht nicht, weshalb es keine anderen Möglichkeiten gibt, das Lehrdiplom zu erwerben. Henrik Pfeifer

Alles in allem bin ich sehr überrascht, wie viel Spass mir der Lehrerberuf macht und wie erfüllend er für mich ist. Ich würde eigentlich gerne den Quereinsteiger-Studiengang an der PH Zürich besuchen. Doch die Strukturen der PH sind leider nicht flexibel genug, damit ich Beruf, Ausbildung und Familienleben unter einen Hut bringen kann. Aus diesem Grund kann ich den Studiengang nicht beginnen, was mich sehr frustriert.

Ich verstehe nicht, warum es für Personen wie mich keine anderen Möglichkeiten gibt, das Lehrdiplom zu erwerben. Ich habe einen Master in Bewegungstheater, einen fast abgeschlossenen Bachelor in pädagogischer Psychologie und bald ein Jahr Berufserfahrung als Sekundarlehrer. Ich bin überzeugt, dass ich nicht mehr 4.5 Jahre an der PH studieren müsste, um meine fachlichen Lücken zu schliessen.»

Stellungnahme der PH Zürich

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Die PH Zürich bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten an, um ein Studium flexibel zu gestalten und damit ein eidgenössisch anerkanntes Lehrdiplom zu erlangen.

Der von Herrn Mathéus ins Auge gefasste Quereinstieg-Studiengang auf der Sekundarstufe 1 dauert 3,5 Jahre. Wird dieser in Teilzeit belegt, verlängert sich die Studienzeit auf 4,5 Jahre.

Diese Studiendauer ist notwendig, um die erforderlichen Qualifikationen zu erwerben. Der Lehrberuf ist ein höchst anspruchsvoller Beruf, der eine Vielzahl an spezifischen Kompetenzen erfordert. Dies bedingt, dass auch Personen mit Berufserfahrung aus anderen Berufsbranchen oder einem anderen Studienabschluss eine umfassende fachliche und fachdidaktische Ausbildung absolvieren.

Sladjana Bächtiger, 35, Eventmanagerin: «Sicher kein Chiller-Job»

«Ich unterrichte 50 Prozent in einer Aufnahmeklasse für ukrainische Kinder an der Schule Gossau im Zürcher Oberland. In der Corona-Krise verlor ich meinen Job als Eventmanagerin. Ich stand vor der Frage, wie es weitergehen soll. Zurück in die Event-Branche wollte ich nicht. Deshalb begann ich, als Klassenassistenz an einer Schule zu arbeiten. Im letzten August erhielt ich die Chance, eine Klasse zu übernehmen.

Der Unterricht ist sehr anstrengend: Ich rede und gebe ununterbrochen. Wenn ich am Abend nach Hause komme, möchte ich in mein Zimmer gehen und möglichst mit niemandem reden.
Autor: Sladjana Bächtiger Lehrerin und Eventmanagerin

Als Lehrerin zu arbeiten, fühlt sich viel sinnvoller an, als teure Events zu organisieren für Menschen, die eh schon alles haben. Ich frage mich, warum ich je etwas anderes gemacht habe. Ich liebe meinen Job über alles.

Von aussen hat man das Gefühl, dass der Lehrerinnenjob ein ‹Chiller-Job› ist: Doch ich war regelmässig bis um acht Uhr abends in der Schule. Der Unterricht ist sehr anstrengend: Ich rede und gebe ununterbrochen. Wenn ich am Abend nach Hause komme, möchte ich in mein Zimmer gehen und möglichst mit niemandem reden.

Sladjana Bächtiger lacht in die Kamera. Im Hintergrund schöne alte Gebäude und ein Wald in der Abendsonne.
Legende: «Ich liebe meinen Job» Sladjana Bächtiger hat sich für den neuen Studiengang «sur dossier» an der PH Zürich angemeldet. George Eberle

Im Unterricht gibt es für mich zwei grosse Herausforderungen: Zum einen die verschiedenen Alter und Niveaus der Kinder, zum anderen die Abgrenzung von den Schicksalen der ukrainischen Kinder, weil ich nur bis zu einem gewissen Grad helfen kann.

Von meinen Lehrerkolleginnen wurde ich sehr unterstützt: Sie glaubten an mich und gaben mir Unterrichtsmaterialien. Besonders schön ist es, wenn man sieht, wie sich die Kinder entwickeln: Ein Junge, der zu Beginn sehr verschlossen war, ist nun der lebendigste Schüler der Klasse.

Solche Erfahrungen machen mir Mut und zeigen mir, dass ich am richtigen Ort bin. Um längerfristig als Lehrerin arbeiten zu können, habe ich mich für die Aufnahme ‹sur dossier› an der PH Zürich angemeldet.»

Pascal Stern, 58, Geograf und Wanderleiter: «Wow, du bist mutig»

«Als ich mich im vergangenen Sommer entschied, die 5. und 6. Klasse in Büetigen im Berner Seeland zu unterrichten, sagte mein Vater: ‹Wow, du bist mutig!› Tatsächlich war das Jahr eine riesige Herausforderung: ein 100-Prozent-Pensum, zwei Jahrgänge in einer Klasse, sechs Fächer inklusive Sprachen und Sport – das ist eine Gewaltsaufgabe.

In den ersten Monaten tat ich nichts anderes als zu unterrichten. Die Beziehung litt, mein Umfeld hatte nichts von mir. In den Weihnachtsferien lag ich sieben Tage lang flach.
Autor: Pascal Stern Lehrer, Geograf und Wanderleiter

Oft ging ich am Abend ins Bett und wusste, dass ich zu wenig vorbereitet sein werde. Manchmal hatte ich von fünf Fächern drei gut vorbereitet, in den anderen Fächern musste ich improvisieren. Ich stand jeden Tag um 5:30 Uhr auf, bereitete vor, fuhr mit dem E-Bike zur Schule, unterrichtete, fuhr wieder zurück, bereitete den nächsten Tag vor, ging einkaufen, ass, goss die Pflanzen und fiel todmüde ins Bett.

In den ersten Monaten tat ich nichts anderes als zu unterrichten. Die Beziehung litt, mein Umfeld hatte nichts von mir. Am letzten Schultag vor Weihnachten begann ich zu husten. Ich kehrte nach Hause zurück und legte mich sofort ins Bett, ohne meinen Rucksack auszupacken. Anschliessend lag ich sieben Tage lang flach.

Aber der Job als Lehrer gefällt mir sehr: Ich werde weiter an der Schule Büetigen arbeiten, allerdings das Pensum auf 70 Prozent reduzieren. Die Pädagogische Hochschule muss ich aufgrund meines Alters nicht mehr nachholen, ich werde aber weiterhin Weiterbildungskurse besuchen.»

Pascal Stern steht am Lehrerpult im Schulzimmer, hält ein Buch in der Hand und schaut in die Kamera.
Legende: «Ich tat nichts anderes als zu unterrichten» Pascal Stern entschied sich vergangenen Sommer, eine 100-Prozent-Stelle als Lehrer anzutreten. Eine Gewaltsaufgabe, wie er im Verlaufe des Jahres feststellen musste. Beat Mathys BZ / Der Bund

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