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Offene Drogenszene in Zürich Mit Ursula Brunner bekam das Elend am Platzspitz ein Gesicht

Ursula Brunner hat die Drogenszene am Platzspitz und am Bahnhof Letten als Süchtige hautnah miterlebt. Später führte sie ein «beinahe suchtfreies Leben», wie sie sagte. Ursula Brunner ist vergangenes Wochenende in Adelboden gestorben. Im Alter von 52 Jahren. Filmer Felix Karrer erinnert sich.

Was für eine Überlebenskünstlerin! Das hört sich vielleicht zynisch an, jetzt, wo sie, viel zu jung, gestorben ist. Aber wer sie gekannt hat, weiss, dass es an ein Wunder grenzt, dass sie immer wieder davonkam.

Ich hatte sie in Pfarrer Siebers Sune-Egge kennengelernt, dem «Asyl an der Drogenfront», wo im Parterre Abszesse aufgestochen wurden, im ersten Stock die bettlägrigen Junkies sich auskurierten, während zuoberst die HIV-Positiven in freundlicher Umgebung ihre letzten Wochen und Monate verbrachten – Aids war damals ein Todesurteil.

Ursula war öfters «zu Gast» im Sunne-Egge. Monate später, traf ich sie wieder auf dem Letten, der Drogenszene, weltweit bekannt wegen der Obszönität des Elends, das sich mitten in einer der reichsten Städte der Welt vor aller Augen abspielte. Als ich sie wieder traf – ich drehte den Film «Bericht von der Drogenfront» – rannte sie herum, auf der Suche nach «Sugar», Heroin, das sie bei der Flucht vor einer der Polizeirazzien vergraben – «gebunkert» – hatte.

Gestresst, gehetzt, aber mit klaren Augen und klarem Verstand, eine toughe Lady in diesem trostlosen Sumpf. Sie war einnehmend, aufmerksam, mitfühlend – ich verdanke ihr kostbare Augenblicke des Glücks. Und habe mit ihr, durch sie, Schmerz, Verzweiflung, Wut durchlebt.

Sie war extrem – ich kannte viele Junkies, aber kaum einen, der sich derart zudröhnte mit allem, was es auf der Gasse gab. Aber sie war nicht einfach nur eine Abgestürzte. An ihrem 30. Geburtstag tauschte sie bei uns zu Hause ihre Gassenklamotten gegen saubere Kleider meiner Frau, dann speiste sie, von ihren Eltern eingeladen, in einem italienischen Nobelrestaurant – schneeweisse Servietten, Silberbesteck – wies kühl ihren Hauptgang zurück, weil ihr das Essen zu wenig heiss schien, ganz Grande Dame, was sie als Tochter einer begüterten Unternehmerfamilie nicht nur hätte sein können, sondern auch imstande war zu sein. Zwei Stunden lang, dann wurde das Reissen zu stark, und sie kehrte zurück in die Szene. Die Achterbahn ihres Lebens war nicht nur die eigene Hölle, sie war auch die der Menschen, die sie liebten, zu allererst wohl die ihrer Eltern.

Immer eine gewisse Distanz wahren als Berichterstatter... schön wär’s gewesen (und mit der Zeit ergab es sich auch, Resignation? Einsicht in die Unabänderlichkeit ihrer Abgründe?).

Viele haben versucht, ihr einen anderen, leichteren Weg zu bahnen. Manchmal ist es gelungen, manchmal nicht. Immer half Ursula ihr Glaube an eine übergeordnete Kraft.

Am Ende ihres Lebens war sie so lebendig wie nie zuvor. Unfassbar, dass sie ausgerechnet jetzt gestorben ist. Ursula, die nie zu zähmen war.

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