Anfangs 2011 wollte Paul Bühler sein Gebiss sanieren lassen. Herausgekommen ist das Gegenteil: Zahnschmerzen ohne Ende, zwei wackelnde Prothesen und massive Einschränkungen. Während Monaten konnte er nicht richtig essen: «Einen Apfel essen? Das konnte ich vergessen, ebenso ein Stück Fleisch. Ich musste es ganz fein schneiden oder ganz hinunter schlucken.»
Paul Bühler dachte, das Angebot des Zahnarztes V.V. wäre ein Deal: Eine «Oberkiefer Totalprothesenversorgung» und im «Unterkiefer eine komplette Versorgung mit Kronen» für 7‘000 statt 10‘000 Franken.
Werbung mit Prothesen zu Ungarnpreisen
Auf V.V. ist Paul Bühler durch Inserate in der «Südostschweiz» und in der «Engadiner Post» gestossen. Hier warb der deutsche Zahnarzt mit günstigen Behandlungen und Prothesen zu Ungarnpreisen. Auf dem Flyer steht: «Sparen sie für den nächsten Urlaub.»
Insgesamt betreibt er in der Schweiz sieben Praxen: Zwei in der Stadt Zürich, je eine in der Stadt Luzern, in Wildhaus, in Spiegel bei Bern, in St. Moritz und in Hombrechtikon. Für diese Praxen rekrutiert er Zahnärzte aus dem Ausland – vorwiegend aus Deutschland – und lässt sie auf eigene Verantwortung arbeiten. Vor sechs Jahren kam er in die Schweiz, zuvor war er in Deutschland und Österreich tätig.
«Ohne Narkose, fast wie in einer Metzgerei»
Im Frühling letzten Jahres tauchte V.V. plötzlich ab. Bevor die Paul Bühlers Sanierung abgeschlossen war. Dieser wurde dann zur Behandlung durch einen anderen Zahnarzt in die Praxis nach Hombrechtikon bestellt.
Zweifel an der Behandlungsqualität von V.V. kommen bei Paul Bühler rückblickend auf: «Bei jedem neuen Termin rupfte er mir wieder einen Zahn aus und schliff ab. Einfach so, ohne Narkose, fast wie in einer Metzgerei.»
In der Klinik für Zahnärztliche Prothetik der Universität Bern liess Paul Bühler die Sache dann beurteilen. Regina Mericske-Stern, Professorin für Prothetik und Implantologie, schaute sich die Arbeit seines Zahnarztes oder besser gesagt, den Schaden in seinem Mund, an.
Ein einziger Pfusch
Auf dem Röntgenbild sieht man eine grosse Zyste im Unterkiefer und die restlichen vier eigenen Zähne. Sie sind allesamt in schlechtem Zustand, haben Infektionen an den Wurzeln und sind mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu retten. Das Röntgenbild zeigt sofort, weshalb Paul Bühler Schmerzen hatte. Nur: sein Zahnarzt V.V. hatte gar nie eines gemacht.
Das sei ein Fehler, rügt die Uni-Professorin. Und Regina Mericske-Stern macht weitere Mängel aus: Eine Prothese allein funktioniere nicht, wichtig sei das Zusammenwirken von Ober- und Unterkiefer: «Und das ist mit diesem Unterkiefer-Provisorium nicht gegeben. Das ist noch viel rudimentärer und schlechter gemacht, als das im Oberkiefer.» Im Unterkiefer fehlen hinten Zähne, deshalb kann Paul Bühler nicht kauen. Einzige Zähne sind sie viel zu niedrig.
Kostenvoranschlag sagt nichts aus
Allein die Kosten für notwendige Korrekturen und neue Prothesen schätzt Regina Mericske-Stern die auf 5‘000 Franken. Die Uni-Professorin kritisiert auch den Kostenvoranschlag von Paul Bühlers Zahnarzt: «Ich weiss nicht, wieviele Zähne behandelt werden, es steht nicht, welche Befundaufnahme gemacht wurde, wie viele Röntgenbilder notwendig sind, ob es eine paradontale Vorbehandlung gibt.»
«Kassensturz» weiss, Paul Bühler ist kein Einzelfall. Eine Begutachtung aus dem Jahr 2009 dokumentiert einen extremen Fall: Eine Patientin bekam Schmerzen, Fieber und eitrige Infektionen, nachdem V.V. ihr neun Implantate in den Oberkiefer eingesetzt hatte. Der Gutachter kommt zum Schluss, dass die Behandlung weder den Qualitätsrichtlinien der Schweizerischen Zahnärztegesellschaft noch den ethischen Grundsätzen ärztlichen Handelns entspreche.
Den Schaden haben die Patienten
In der Schweiz beaufsichtigen die kantonalen Gesundheitsdirektionen die Zahnärzte und sie sollten die Patienten schützen. Urs Besmer, Leiter des Rechtsdienstes des St. Galler Gesundheitsdepartements, betont: «Als V.V. vor sechs Jahren um eine Zahnarztbewilligung ersuchte, lag nichts gegen ihn vor.»
Doch im Frühling 2011 entzog das Departement V.V. die Bewilligung wieder. Urs Besmer erklärt: «Eine Medizinalperson muss die Tätigkeit gewissenhaft ausüben und vertrauenswürdig sein. Wenn wir feststellen, dass bei einem Arzt oder Zahnarzt diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, sind wir von Gesetztes wegen verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen.»
V.V. darf in der Schweiz nicht mehr als Zahnarzt tätig sein. Gegenüber «Kassensturz» sagte er, er sei jetzt als Geschäftsführer tätig.
Strafuntersuchung eingeleitet
Paul Bühler kämpft immer noch um sein Geld. Er forderte die 7‘000 Franken für die missglückte Behandlung von V.V. zurück. Bis jetzt ohne Erfolg. Der Zahnarzt hat den eingeschriebenen Brief gar nicht abgeholt.
V.V. schreibt «Kassensturz» in einer Stellungnahme, er habe bei Paul Bühler nur Befundaufnahme gemacht, die Behandlung hätte ein Zahnarzt, der in der Praxis in Hombrechtikon arbeitet, durchgeführt.
Die St. Galler Strafbehörden haben eine Untersuchung eingeleitet. Das Bezirksgericht wird beurteilen müssen, ob V.V. Paul Bühler noch behandelte, als ihm bereits die Berufsausübungsbewilligung entzogen worden war. Für den Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.