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«Kassensturz undercover» «Kassensturz undercover»: Brisante Enthüllungen im Callcenter

«Kassensturz» lanciert eine neue Serie: Reporter sind verdeckt im Einsatz. Im ersten Teil arbeitet eine Reporterin undercover in einem Callcenter der Versandgroup Holding. «Kassensturz» enthüllt, wie mit Lügen und falschen Versprechungen Kunden Produkte angedreht werden.

Telefonverkäufer in Versandgroup-Callcentern ziehen Kunden systematisch über den Tisch: Seit Jahren berichtet «Kassensturz» über die aggressiven Verkaufsmethoden. Die Call-Agenten drehen vornehmlich älteren Personen völlig überteuerte Produkte an – Milbensprays, Gels oder Nahrungsergänzungs-Mittel. Ein Undercover-Einsatz von «Kassensturz» belegt: Dies geschieht systematisch mit Lügen und falschen Heilversprechen.

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Die «Kassensturz»-Reporterin Céline Brunner stand dazu vor einer brisanten Aufgabe: Sie sollte bei einem Callcenter der Versandgroup anheuern und verdeckt recherchieren. Die Versandgroup sucht ständig Mitarbeiter.

Im Nu hatte sie einen Termin für einen Probe-Arbeitstag im Callcenter Telesana im Zürcher Niederdorf. Ihre Aufgabe war: der Verkauf von Nahrungsergänzungs-Mitteln. «Die Verantwortlichen haben gar nicht nachgefragt. Weder was ich arbeite, noch was ich sonst mache, keine Qualifikationen. Ich musste einfach ein Zeugnis und einen Lebenslauf mitbringen und das ist alles», erzählt die Reporterin.

«Kassensturz» will mit einem Undercover-Einsatz herausfinden, wie die Telefonverkäufer arbeiten. «Kassensturz»-Zuschauer berichten immer wieder, wie sie vom Callcenter belogen und getäuscht wurden. Die Reporterin nimmt ihr Handy mit, um von sich selbst Bilder zu machen.

Haufenweise unnötige Produkte aufgeschwatz

Viele Konsumenten haben schlechte Erfahrungen mit der Versandgroup gemacht. Einer von ihnen ist der Rentner Hans R. Er sei körperlich noch gut «zwäg», sagt seine Tochter Heidi, doch geistig habe er schon merklich abgebaut.

Wie kamen diese Produkte der Versandgroup zu Hans R.? Er kann sich nicht mehr erinnern an die Telefonanrufe der Firma, in denen ein Telefon-Verkäufer ihn zum Kauf überredet haben muss.

Versandgroup schaffte es schliesslich, ihm literweise Insekten-Vertilgungsmittel anzudrehen – die Flasche für überrissene 110 Franken – oder für hunderte von Franken Kapseln mit gewöhnlichem Gewürzpulver, angeblich wirksam gegen Rheuma, Bluthochdruck oder Krebs – Krankheiten, die Hans R. gar nicht hat.

«Diese Produkte brauche ich nicht. Wenn ich etwas brauche, dann gehe ich in die Apotheke oder zum Arzt, der verschreibt‘s und das hol ich», sagt Hans R. Dennoch bezahlt Hans R. alle Rechnungen der Versandgroup, allein im letzten Jahr gegen 2000 Franken.

Die Telefonverkäufer der Versandgroup haben Hans R.'s Gesundheitszustand schamlos ausgenutzt. Und ihm Ware angedreht, die er nie wollte und sicher nicht braucht. Die Tochter sagt dazu: «Ich finde es erbärmlich. Ich finde es erbärmlich, wenn man ältere Leute, die halt gewisse Einschränkungen haben, so über den Tisch zieht.»

Der Chef: Ein alter Bekannter von «Kassensturz»

Aggressive Verkaufsmethoden bei älteren und kranken Personen: «Kassensturz» thematisiert seit zehn Jahren die Methoden der Versandgroup-Callcenter. Das eine Mal waren es nutzlose, aber sündhaft teure elektronische Geräte zur Rheuma-Behandlung. Ein anderes Mal Seifenlösungen zum Vertreiben von Milben. Oder völlig überteuerte Nahrungsergänzungsmittel.

Roland De Vallier: So heisst der Verantwortliche der Versandgroup Holding. Das Netz seiner sieben Callcenter mit über 200 Angestellten macht einen geschätzten Jahresumsatz von 10 Millionen Franken. Geschäftsmann De Vallier scheut die Fragen von «Kassensturz».

Verkäufer unter enormem Verkaufsdruck

Als die «Kassensturz»-Reporterin bei Telesana eintrat, war das Verkaufsgeschäft in vollem Gange. Die Reporterin brachte ihr Handy in Stellung. Immer wieder trieb der Callcenter-Leiter die Telefonverkäufer an.

«Wenn wir Verkäufer am Telefon waren, stand der Chef immer wieder vorne hin bei den Mitarbeitern, dann schrie er 'verkaufen, wir müssen nur noch 2000 Umsatz machen bis zum Schluss'. Er schrie durch den Saal. Das war sehr unangenehm. Er pushte richtiggehend. Ich habe mich gepusht gefühlt von ihm», sagt Brunner.

Als Arbeitsinstrument erhielt die Reporterin brisante Unterlagen: Versandgroup schreibt den Call-Agenten ganz genau vor, wie ein Telefongespräch abzulaufen hat. Vom Geplänkel am Anfang bis hin zu medizinischen Heilversprechen mit konkreten Listen von Krankheiten, welche die Präparate angeblich kurieren können.

Ausgerüstet mit den Gesprächsleitfäden, musste die Reporterin am frühen Nachmittag selber Verkaufsgespräche führen und wildfremden Leuten ein Omega 3-Fettsäure-Produkt andrehen. Dabei musste sie sich genau an die schriftlichen Vorlagen halten und Kunden mit falschen Heilversprechen ködern.

«Die Omega-3-Fettsäuren, die ich verkaufte, sollen angeblich gegen eine ganze Liste von Beschwerden helfen. Ich habe angegeben, das helfe bei Herz-Kreislaufstörungen, bei Arthrose, bei Gedächtnisverlust, bei Asthma, bei Krebs, bei wirklich allem», sagt Brunner.

Doch die Undercover-Reporterin verkaufte schliesslich nichts und zog niemanden über den Tisch.

Ex-Verkäuferin packt aus

Zurück in der «Kassensturz»-Redaktion: Vom Verkaufs-Marathon im Versandgroup-Callcenter bleiben Céline Brunner vor allem der enorme Verkaufsdruck und die irreführenden Heilversprechen in Erinnerung.

«Am Anfang des Tages sitzt man bei jemandem um zu sehen, wie ein solches Verkaufsgespräch geht. Da bin ich bei einer älteren Frau gesessen, die hat ein Produkt verkauft, das hat Curcumin drin. Das ist ein Gewürz in Indien. Und sie sagte, dass die Leute dort, weil sie mit diesem Gewürz kochen, keinen Krebs haben» erinnert sich Brunner.

«Kassensturz» besuchte eine Ex-Mitarbeiterin von Versandgroup. Aus Angst vor Repressionen möchte sie anonym bleiben. Sie bestätigte: Telefonverkäufer von Versandgroup täuschen und belügen alte und kranke Kunden gezielt.

«Einem Krebspatienten kann man sehr viel aufschwatzen. Oder den dementen Leuten kann man recht gut aufschwatzen. Ich habe einem Krebspatienten zum Beispiel gesagt, dass wenn er das nehme, dann werde sein Immunsystem wieder aufgebaut. Die Medizin baue das auch mit der Chemotherapie zusammen ein, die guten Ärzte. Man hat dem Krebspatienten auch gesagt, dass die Uniklinik zusammenarbeitet mit der Lindaren-Praxis. Also man hat nach Strich und Faden gelogen. Das machten alle so», sagt die Ex-Mitarbeiterin.

Auch die «Kassensturz»-Reporterin erlebte selbst: Die Kunden zu belügen gehört im Versandgroup-Callcenter zum System. Vor allem ältere Personen werden so skrupellos über den Tisch gezogen.

«Wenn sie nein gesagt haben, dann musste ich jeweils nachhaken. Um herauszufinden, warum der Kunde das wirklich nicht will. Obwohl ich schon lange gemerkt habe, ich verkaufe bei dem nichts. Das ging nur ums Verkaufen, nicht ums Wohl der Kunden, um deren Gesundheit. Es war mir sehr unwohl dabei», erzählt Brunner.

Nach dem Probetag sagte die Reporterin eine weitere Anstellung bei Versandgroup ab. Sie hatte genug gesehen.

Unwirksame Mittel, verbotene Heilversprechen

Unseriös und irreführend sei dies, das sagt Thomas Cerny, Leiter Onkologie Kantonsspital St. Gallen, zur Behauptung, Kurkuma wirke bei Menschen gegen Krebs. Der renommierte Krebsspezialist sagt, es gebe keinen Beweis für eine Wirksamkeit.

«Die Gefahr ist, dass in erster Linie Leute darauf verzichten, ihre notwendigen Therapien weiterzuführen. Dies, weil sie glauben, dass sie da ohne Nebenwirkungen eine wesentliche Wirkung erzielen können», sagt Thomas Cerny.

«Kassensturz» legt die offiziellen Gesprächsleitfäden der Versandgroup auch Kurt Seiler, dem zuständigen Kantons-Chemiker, vor. Er kritisiert die systematischen Heilanpreisungen. «Heilanpreisungen bei Lebensmitteln sind verboten. Wir werden verwaltungsrechtlich dagegen vorgehen», sagt Kurt Seiler. Er will Strafanzeige erstatten.

«Kassensturz» will Roland De Vallier am Firmensitz der Versandgroup im appenzellischen Lutzenberg mit den Vorwüfen konfrontieren. Vergeblich. De Vallier nimmt vor der Kamera keine Stellung. In einem Email schreibt er «Kassensturz», er sei von den Vorwürfen überrascht. Er habe keine Kenntnisse davon, dass seine Angestellten illegal handelten.

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