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Mutmasslich fiktive Coronatests: Schaden geht in die Millionen
Aus Kassensturz vom 11.10.2022.
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Betrug mit Coronatests? Mutmasslich fiktive Coronatests: Schaden geht in die Millionen

Ärzte verrechnen reihenweise erfundene Coronatests. Santésuisse schätzt den Schaden für den Bund auf 20 Millionen Franken.

Es sind sehr viele Mails, die auf der «Kassensturz»-Redaktion zum Thema «fiktive Coronatests» eingehen. Betroffene schildern stets das Gleiche: Sie finden auf ihrer Krankenkassen-Abrechnung Coronatests, die sie nicht gemacht haben. Ein extremes Beispiel ist Familie S. aus Rapperswil-Jona.

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Herbert S.: «Lustigerweise hatte es Tests dabei, die wir nicht gemacht haben konnten. Wir waren da in den Ferien.»
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Ihrer Krankenkasse seien sage und schreibe 36 Coronatests verrechnet worden, die sie nicht gemacht hätten, erzählt Herbert S.: «Da waren Tests dabei, die angeblich stattfanden, als wir alle im Ausland in den Ferien waren.» Bis heute hat er von den abrechnenden Ärzten keine plausible Erklärung zu diesen Tests erhalten.

Drei Ärzte stechen hervor

Abgerechnet haben die Tests drei der Familie völlig unbekannte Ärzte. Einer davon ist mittlerweile verstorben.

Bei den anderen beiden handelt es sich um Eric X. Jensen mit Praxis in Schwyz und um die Praxis Avegena Medical Center in Geuensee LU. Beide Namen werden in vielen anderen Mails als abrechnende Stellen genannt. «Kassensturz» fragt mehrfach wegen der Tests bei Avegena-Praxisleiter Jens Westphal nach. Doch er antwortet nicht. Und Eric Jensen sagt lediglich, das Problem sei bei der zuständigen Factoring-Firma, über die offenbar abgerechnet wurde. Wie viele solche Tests die Ärzte abgerechnet haben, ist unklar.

Factoring

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Viele der mutmasslich falsch abgerechneten Tests wurden über ein Geschäftsmodell namens Factoring abgerechnet. Dabei kauft ein Geschäftsmann von Testcentren zehntausende oder mehr Testabrechnungen ab. Weil er keine medizinische Fachperson ist, kann er diese jedoch nicht direkt den Kassen verrechnen. Dazu braucht es eine medizinische Fachperson mit einer sogenannten Zahlstellen-Nummer (ZSR). Denn nur diese können den Krankenversicherungen Leistungen in Rechnung stellen.

Der Geschäftsmann gibt die Tests solchen Fachpersonen weiter. Diese verrechnen die Tests bei den Krankenkassen. Die Arztpersonen leiten das Geld dem Geschäftsmann weiter und behalten für Ihre Dienste in der Regel eine Provision.

Bahnhof-Apotheke Rapperswil: Patientendaten gestohlen?

«Woher haben diese Ärzte überhaupt meine Patientendaten?», fragen sich viele Betroffene. Hier kommt die Bahnhof-Apotheke Rapperswil ins Spiel. Viele derer, die sich melden, haben dort oder in einer Filiale tatsächlich einmal einen Test gemacht. Wurden Patientendaten hier missbraucht, um fiktive Tests abzurechnen? Der Inhaber der Apotheke schreibt dazu, er sei nur für die medizinische Qualität der Zentren verantwortlich gewesen. Effektiv betrieben hätte dies eine Drittfirma. «In welcher Form vom Betreiber Datensätze entwendet oder missbräuchlich verwendet wurden, kann ich nicht beurteilen».

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Matthias Müller, Santésuisse: «Wir schätzen den Schaden auf 20 Mio. Franken und sind sehr besorgt.»
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Schaden von 20 Millionen Franken

Der Krankenkassenverband Santésuisse schätzt, dass rund 1 Prozent aller gemachten Coronatests nicht korrekt, doppelt oder dreifach verrechnet worden sind. «Oder sie haben gar nicht stattgefunden», sagt Santésuisse-Sprecher Matthias Müller. «Das Volumen schätzen wir da auf knapp 1 Prozent der Gesamtsumme, und das würde ungefähr 20 Millionen Schweizer Franken ausmachen.»

Sind Sie auch betroffen?

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Betroffene könnten sich unter der E-Mail Adresse rueckforderungen@bag.admin.ch direkt beim BAG melden.

Weil die Tests vom Bund bezahlt werden, sei der Bund in der Pflicht, mutmassliche Betrügereien aufzuklären. Man habe das BAG schon vor Monaten über Unregelmässigkeiten detailliert informiert. «Passiert ist leider seither nicht viel», so Müller.

Stellungnahme der beiden Ärzte

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Kurz vor Ausstrahlung des Beitrags erreicht «Kassensturz» über den Anwalt der beiden genannten Ärzte folgende Stellungnahme:

Die über die Abrechnungsnummern der beiden Ärzte abgerechneten Tests befinden sich zurzeit bei den betreffenden Test-Centers in Abklärung. Die Resultate dieser Abklärungen liegen zurzeit noch nicht vollständig vor, aber es kann schon jetzt festgestellt werden, dass sämtliche betroffenen Patienten Testkontakte mit den betreffenden Test-Centers hatten und über die Abrechnungsnummern der beiden Ärzte wissentlich keine Tests, die gar nicht durchgeführt worden sind, abgerechnet worden sind.

Mit der Abrechnung der durchgeführten Tests hatten die beiden Ärzte nichts zu tun: Die Versicherungsträger honorierten die Testrechnungen nicht gegenüber den Ärzten, sondern gegenüber sog. Factoringgesellschaften, die die einkassierten Beträge (nach Abzug der ihr zustehenden Factoringgebühr) dann an die beigezogenen Gesundheitswesen-Leistungserbringer (Ärzte) weiterüberwiesen. Sollten, trotz der bisherigen positiven Feststellungen, Fehler in der Abrechnung entstanden sein, dann liegt das nicht in der Verantwortung der beigezogenen Ärzte, sondern entweder im Verantwortungsbereich der betreffenden Test-Centers oder der beigezogenen Verarbeitungspartner.

Im Interview mit «Kassensturz» nimmt BAG-Kommunikationsleiter Gregor Lüthy zu den mutmasslichen Betrugsfällen Stellung. Eine Taskforce sei an der Aufarbeitung der verdächtigen Fälle. Im Fokus stehe eine tiefe, zweistellige Zahl von Leistungserbringern. «Das ist ein sehr aufwändiger Prozess, weil eine grosse Zahl von Daten überprüft werden muss», so Lüthy.

«Kassensturz» ist an Ihrer Meinung interessiert

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Deshalb habe man auch noch keine Strafanzeigen einreichen können. Dafür brauche es einen begründeten Anfangsverdacht: «Und den haben wir erst, wenn wir die Daten genau prüfen konnten.» Auch deshalb seien noch keine Gelder zurückgefordert worden.

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Studiogespräch mit Gregor Lüthy, Leiter Kommunikation Bundesamt für Gesundheit BAG
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Espresso, 11.10.22, 08:13 Uhr / Kassensturz 11.10.22, 21:05 Uhr

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