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Computermaus in Herzform
Legende: Weiterhin erhält die Autorin täglich schnulzige Liebes-E-Mails Colourbox

Multimedia Teil 2: «Honey, I’m lost without you»

Auf Singleplattformen und in sozialen Netzwerken machen Romantik-Betrüger Jagd auf Ahnungslose, die sich von deren Treuschwüren und Liebesgedichten einlullen und später ausnehmen lassen. Doch Online-Lover Tyler ist an die Falsche geraten: Die Autorin hat den Spiess umgedreht.

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20. Oktober. Mittlerweile sind seit dem ersten Kontakt  mit meinem liebevollen Heiratsschwindler über zwei Wochen vergangen. Ich muss sagen, ich bin beeindruckt von seinem Eifer und seiner Ausdauer: Weiterhin erhalte ich täglich die schnulzigsten Liebes-Emails. Wenn ich erreichbar bin, chattet er stundenlang mit mir und seine Liebeserklärungen sind so inbrünstig, dass sogar die abgebrühteste Amazone Gefühlsregungen entwickeln würde.

Die süssen Worte des angeblichen Tylor Martinez liefen herunter wie Honey. Dennoch wartete ich täglich darauf, dass er nun endlich in Not geraten und mich um Geld bitten würde. Doch nichts dergleichen! Sollte ich mich geirrt haben? War er doch der Traummann, den er vorgab zu sein?

Die Lügengeschichte nimmt Formen an

Dann endlich – nach 17 Tagen – kam Bewegung in die Sache: Er eröffnete mir, dass er einen Auftrag an Land gezogen habe und deshalb am Samstag um 14.30 Uhr für acht Wochen nach Malaysia fliegen würde.

Mittlerweile habe ich viele Opfergeschichten gelesen und phantasievolle Betrügergeschichten kennen gelernt: Der Traumprinz verreist, wird krank und braucht Geld für die Spitalbehandlung. Oder er ist beruflich im Ausland und muss Ware auslösen, damit er weiterarbeiten kann. Was wird er mir auftischen? Ich war gespannt!

20. Oktober: Auszug aus dem Chat

Ich: «Vielen Dank für ein weiteres schönes Goodmorning-Mail. Ich mag Lionel Richie»

Er: « Das tue ich gerne für einen schönen, wunderbaren Engel wie dich.»

Ich: «Du machst mich sprachlos.»

Er: «Es ist mir ein Vergnügen. Du brauchst nichts zu sagen. Ich brauche dich. Chatten mit dir ist wie Medizin für mich. »

Ich: «Aber 8 Wochen sind sehr lange. Ich hoffe, ich werde mal etwas hören von dir.»

Er: «Auf jeden Fall! Und wenn das Projekt beendet ist, fliege ich direkt zu dir. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Wir werden Spaziergänge machen, ausgehen, im Kino sitzen.»

Kurz vor der Abreise gab er mir seine Handynummer, die er während des Aufenthalts benutzen würde – die Vorwahl war tatsächlich von Malaysia. Und er bat mich, ihm meine Nummer zu geben, damit er mich anrufen könne, sobald er dort angekommen sei.

Ein heikler Punkt. Denn mir ist klar: Einer zwielichtigen Person soll man seine Nummer nicht geben. Aber meine journalistische Neugier war grösser: Ich wollte wissen, ob er mich wirklich anrufen würde, wollte ihm auf den Zahn fühlen. Nach langem Überlegen gab ich ihm die Nummer.

Der spanische Engländer, ein Afrikaner?

Und tatsächlich rief er mich an – am 22. Oktober um drei Uhr nachts! Er sei soeben im Hotel in Kuala Lumpur angekommen. Allerdings verstand ich das erst im dritten Anlauf, denn was ich da hörte, war not very British. Der weisse Tylor Martinez aus Manchester legte einen ausgeprägten afrikanischen Akzent an den Tag! Die so genannte Nigeria-Connection – bekannt aus anderen Opfergeschichten – lässt grüssen. Fehler Nummer eins!

Fehler Nummer zwei liess nicht lange auf sich warten: Er erzählte mir, dass der Flug 13,5 Stunden gedauert habe. Man braucht kein Rechengenie zu sein, um festzustellen, dass Tylor also noch gar nicht im Hotel sein konnte. Weil sein Flugzeug während unseres Gesprächs noch in der Luft war!

Ins Fettnäpfchen Nummer drei trat er nur wenige Sekunden später: Der arme Mann litt wohl unter einem Jetlag. Auf jeden Fall schien er vergessen zu haben, dass er in Manchester lebt. Seine Wohnadresse war neuerdings plötzlich in Liverpool.

Und weinen muss er auch noch

War ich vorher noch beeindruckt von seinem durchdachten Lügenkonstrukt, so amüsierte ich mich nun immer mehr über seine tollpatschigen Ausrutscher. Und ich beschloss, ihm weitere Fettnäpfchen in den Weg zu stellen.

Das war nicht schwer. Denn nach wie vor war er pausenlos für mich da, wenn ich abends über Facebook chatten wollte. Und das bei einer Zeitverschiebung von sieben Stunden! Sollte er wirklich in Malaysia sitzen, musste er um drei Uhr nachts aufstehen, nur um mir immer wieder seine Liebe zu gestehen.

24. Oktober: Auszug aus dem Chat

Er: «Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Ich habe mir selbst versprochen, dass ich immer bei dir bleiben werde.»

Ich: «Das solltest du aber nicht dir versprechen, sondern mir.»

Er: «Das spielt keine Rolle. Du bist fest in meinem Herzen. Deshalb habe ich es mir versprochen.»

Ich: «OK. Das leuchtet ein.»

Er: «Bitte versprich mir, dass du mich nie für einen anderen Mann verlassen wirst.»

Ich: «Warum sollte ich das tun?»

Er: «Bitte versprich es mir einfach. Ich bin verloren ohne dich.»

Klar wollte ich wissen, wer sich da so viel Mühle gab. Seine Fotos kannte ich ja. Aber die passten irgendwie nicht zu seinem Akzent. Also sülzte ich eines Abends: «Mein Lieber, ich vermisse dich so sehr. Bitte sende mir via Handy ein aktuelles Foto von dir, damit ich dich immer bei mir haben kann.»

Seine Antwort war dramatisch: «Oh mein Gott, Honey! Ich bin so traurig! Ich kann dir deine Bitte nicht erfüllen. Mein Handy hat keine Kamera! Bin so traurig. Muss weinen!» Der arme Kerl! Auch Fettnäpfchen Nummer vier hat er nicht verfehlt.

Señor Martinez versteht kein Spanisch

Drei Tage später war es Zeit für einen weiteren Test: Taylor Martinez ist in Madrid aufgewachsen. Also war ich doch mal so nett und lernte ein paar Brocken Spanisch. Ich schrieb: «Heute habe ich speziell für dich etwas gelernt: Cariño, te hecho de menos. Me alegro mucho de verte pronto. Quando vas a venir?» («Liebling, ich vermisse dich. Ich freue mich, dich bald zu sehen. Wann kommst du?»)

Die Antwort des angeblichen Toreros kam umgehend: «Honey, ich kenne diese Sprache nicht. Was willst du mir sagen?» Oha! Fettnäpfchen fünf war wohl besonders tief!

Aber Taylor Martinez aus Madrid liess sich nicht beirren und spielte sein Spiel weiter. Ich war erstaunt über so viel Dreistigkeit und fragte mich, ob er das wirklich ganze acht Wochen durchziehen würde.

Doch dann, am 25. Oktober, geschah die Katastrophe. Taylor geriet in Schwierigkeiten. Und ich brachte ihn ins Schwitzen und liess ihn buchstäblich im Regen stehen.

Mehr dazu nächsten Freitag.

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