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Chemikalien aus der Teflon-Pfanne
Aus Wissenschaftsmagazin vom 10.02.2022. Bild: IMAGO IMAGES / Jochen Tack
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Chemikalien für die Ewigkeit PFAS: Das Gift, das in unseren Alltagsgegenständen lauert

Unzählige Produkte enthalten PFAS – eine Stoffgruppe, die Schmutz und Wasser abweist. Doch die Substanzen sind kaum abbaubar und manche gefährden die Gesundheit. Fachleute warnen immer dringlicher.

PFAS könnten die problematischsten Chemikalien sein, von denen Sie noch nie gehört haben. Es gibt Tausende unterschiedlicher Substanzen dieser Gruppe, die in Zehntausenden von Produkten eingesetzt werden: in manchen Kosmetika, beschichteten Pfannen, in Outdoor-Kleidung, Feuerlöschern und sogar Verpackungen für Fast Food.

Ein Ding der Unendlichkeit

Überall dort spielen sie ihre überragende Fähigkeit aus, Wasser, Fett und Dreck abperlen zu lassen. Wie das sprichwörtliche Teflon eben, das tatsächlich zu den PFAS gehört.

Diese Substanzen enthalten alle Fluor und Kohlenstoff, und weil diese beiden Atome eine sehr feste Bindung zueinander pflegen, werden PFAS-Moleküle in der Umwelt kaum abgebaut. «Forever chemicals» heissen sie deshalb auch: Chemikalien für die Ewigkeit.

Woher kommen PFAS?

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Die ersten per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) wurden vor etwa 80 Jahren entwickelt, zum Beispiel schützte der Stoff PTFE-Metallteile der ersten Atombomben vor ätzenden Gasen. Einige Jahre später setzten nicht mehr nur Bombenbauer, sondern auch Hersteller von Bratpfannen auf PTFE – und tauften es Teflon.

Seit etwa 20 Jahren wird zunehmend deutlich, dass wir uns mit den PFAS grosse Probleme eingehandelt haben, die sich nicht mehr aus der Welt schaffen lassen, sagt der PFAS-Spezialist Zhanyun Wang von der ETH Zürich: «Viele PFAS können sich in der Nahrungskette anreichern und auch im menschlichen Körper, wo sie für Jahrzehnte bleiben.»

Viele PFAS können sich in der Nahrungskette anreichern und auch im menschlichen Körper, wo sie für Jahrzehnte bleiben.
Autor: Zhanyun Wang PFAS-Spezialist

Bei manchen PFAS ist nachgewiesen, dass sie bereits in kleinen Mengen die Gesundheit schädigen. In Kindern können sie die Bildung von Antikörpern stören, bei Erwachsenen den Cholesterinspiegel im Blut erhöhen. Manche stehen im Verdacht, Nierenkrebs zu verursachen. Eine Menge weiterer negativer Auswirkungen auf die Gesundheit sind ebenfalls in Abklärung.

Fast überall zu finden

Das Problem sei, sagt Zhanyun Wang, dass PFAS an unzähligen Orten produziert und eingesetzt würden. Und von überall dort gelangten die schädlichen Stoffe in die Umwelt. Wichtige Quellen sind Fabriken, in denen PFAS hergestellt wurden oder Orte, wo öfter Feuerlöschschäume eingesetzt worden sind.  

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Archiv: Giftiger Löschschaum im Grundwasser
Aus Schweiz aktuell vom 25.03.2021.
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Im schwedischen Städtchen Ronneby wurde ein Drittel der Haushalte über Jahre unbemerkt mit schwer PFAS-verschmutztem Trinkwasser versorgt. Die Giftstoffe stammten von einem Militärflughafen, auf dem Löschschaum eingesetzt wurde. Auch in der Schweiz müssen auf einigen Flächen, wo in der Vergangenheit die Bekämpfung von Bränden geübt worden ist, Böden saniert werden. Beispiele sind Areale in Andelfingen ZH und Altstätten SG.

Messungen in der Schweiz und in vielen anderen Ländern zeigen allerdings, dass die «forever chemicals» nicht nur an solchen Hotspots auftauchen, sondern fast überall, wo man nachschaut: im Boden, im Grundwasser und Flüssen und Seen, in der Luft, in Pflanzen und Tieren. «Sie sind allgegenwärtig», sagt Zhanyun Wang.

So gelangen die Substanzen in unser Trinkwasser

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Legende: imago images / Petra Schneider

Ein wichtiger Verbreitungsweg beginnt in Siedlungsgebieten. Wir alle verwenden Produkte, die PFAS enthalten und Spuren davon landen im Abwasser.

Zum Beispiel, wenn wir imprägnierte Outdoor-Kleidung waschen oder Reste von PFAS-haltigen Kosmetika ins Abwasser gelangen. Dieses trägt die Substanzen in die Flüsse und von dort dringen sie via Grundwasser ins Trinkwasser vor.

In der Schweiz wurden bei einer Messkampagne in fast der Hälfte der untersuchten Grundwasserproben PFAS festgestellt.

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schreibt auf Anfrage, dass man mit modernen Methoden PFAS zwar teilweise aus Abwasser und Trinkwasser herausfiltern könne – aber es sei unklar, wie gut das in der Praxis funktioniere. Die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA geht davon aus, dass ein «erheblicher Teil der europäischen Bevölkerung» dauerhaft zu viel von zwei der häufigsten PFAS-Substanzen aufnimmt.

Unser täglich PFAS nehmen wir auch über die Nahrung auf oder wenn wir Schuhe imprägnieren oder der imprägnierte Teppich diese Stoffe ausdünstet. Auch die Verpackungen von Popcorn für die Mikrowelle können PFAS enthalten.

Das Resultat dieser stetigen Verbreitung auf vielen Kanälen: «In den USA hatten 95 Prozent der untersuchten Menschen PFAS im Blut», sagt Zhanyun Wang von der ETHZ. Auch in der Schweiz und anderswo fand man im Blut teils hohe PFAS-Werte. Forscherinnen, die in verschiedenen Ländern in Muttermilch nach den Substanzen fahndeten, stiessen in Schweizer Proben auf vergleichsweise hohe Werte.

Welche Gegenmassnahmen gibt es?

Zwei der wichtigsten und gefährlichsten PFAS-Substanzen mit den Kürzeln PFOS und PFOA wurden inzwischen weltweit geächtet. In der Schweiz wurde PFOS 2011 weitgehend verboten, PFOA wird seit letztem Jahr aus dem Verkehr gezogen. In der Folge sind die Werte dieser beiden Chemikalien in Blutuntersuchungen zurückgegangen. Aber sie sind noch immer messbar.

Problem gelöst? Leider nicht, sagt Zhanyun Wang. Denn die Industrie habe die verbotenen PFAS einfach mit neuen PFAS-Substanzen ersetzt: «Auch die Ersatzstoffe sind kaum natürlich abbaubar und manche sind vermutlich ebenfalls gesundheitsschädlich.»

Wahrscheinlich hat man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Doch so genau weiss das niemand, da es mittlerweile je nach Zählung über 4000 oder sogar 10'000 PFAS-Varianten gibt und weil über viele davon sehr wenig bekannt ist. Statt wie ehemals die bekannten PFOS und PFOA finde man im Wasser nun «einen ganzen Mix aus mehreren PFAS, was die Analyse und Bewertung erschwert», sagt Martin Scheringer von der ETH Zürich. Er befasst sich seit Jahren mit dem Problem. Die Situation sei diffuser und unübersichtlicher geworden.

Ein löchriges System

Wer meint, dass jede neu hergestellte Substanz von den Behörden bewilligt werden muss, täuscht sich. Das BAFU erklärt auf Anfrage: Nach Schweizer Recht müssten nur Stoffe den Behörden gemeldet werden, von denen pro Jahr mehr als eine Tonne in Verkehr gebracht werde – und dies sei vielfach nicht der Fall.

Bei den meldepflichtigen Stoffen müssen die Firmen gewisse Daten liefern, aber zumindest in der EU können die Behörden niemals alle Daten eingehend prüfen, sagt Martin Scheringer. Zur Schweizer Situation schreibt das BAFU: «Für viele Stoffe aus der Gruppe PFAS liegen den Behörden keine oder nur wenige Daten vor.»

Nur wenn ein Stoff aufgrund der – vom Hersteller gelieferten – Daten als möglicherweise Besorgnis erregend eingestuft wird, können die Behörden Auflagen prüfen. Zhanyun Wangs Fazit: Das System, mit dem Staaten den Einsatz von Chemikalien beaufsichtigen, sei noch nicht perfekt. Einiges könne da durch die Maschen fallen.

Fachleute wollen strengere Einschränkungen

Darum fordert eine Gruppe von Experten, zu der auch Scheringer und Wang gehören, eine drastische Einschränkung der PFAS. Sie sollten nur noch in Fällen verwendet werden dürfen, in denen ihr Einsatz «essenziell» für die Gesellschaft sei und es keine unproblematischeren Alternativen gebe.

In einer Studie haben sie herausgearbeitet, dass dies für viele Anwendungsgebiete der PFAS nicht zutrifft. Aktuell kaum verzichtbar seien PFAS zum Beispiel bei gewissen medizinischen Produkten oder industriellen Herstellungsprozessen.

Auf dem Bild ist eine Frau zu sehen, die Lippenstift aufträgt.
Legende: Auch in Kosmetika, wie beispielsweise einem Lippenstift, können sich die Substanzen befinden. imago images / Westend61

Oft sei es für die Hersteller aber relativ einfach, auf Alternativen umzustellen, schreiben die Experten. Als beispielsweise in Schweden eine NGO in einer Kampagne bekannt gemacht habe, dass manche Kosmetikprodukte PFAS enthalten, hätten mehrere Hersteller wie L’Oréal, H&M und The Body Shop rasch auf Alternativen umgestellt.

In der EU sind nun Abklärungen im Gang, um den Gebrauch von PFAS stark einzuschränken. Unterstützt wird dies unter anderem von Deutschland, den Niederlanden und Dänemark. Aber, sagt Martin Scheringer: «Das ist ein grosses und heisses Thema.»

PFAS tauchen immer wieder auf

Wer heute schon diesen Stoffen aus dem Weg gehen will, hat es nicht einfach. Eine Studie von Scheringers Team fand kürzlich in zahlreichen Produkten PFAS, von denen dies nicht bekannt gewesen war, zum Beispiel in Kletterseilen, Veloketten-Öl, Lippenstift und Smartphones.

Zwar gibt es einige Firmen, die PFAS aus ihren Produkten verbannt haben oder dies tun wollen. Doch für die meisten Produkte besteht keine Deklarationspflicht – man sieht der Verpackung im Fast-Food-Restaurant oder dem Beutel, in dem Popcorn für die Mikrowelle steckt, nicht an, ob darin PFAS lauern.

Eine Deklarationspflicht sei kaum machbar, sagt das BAFU: Die Zusammensetzung mancher Produkte sei derart komplex, dass nicht einmal der Hersteller wisse, ob nicht in irgendeiner der verwendeten Zutaten PFAS drin sei.

PFAS-Tipps

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Legende: Produkte wie Outdoor-Jacken werden bereits als PFAS-frei beworben. imago images / Westend61

Das deutsche Umweltbundesamt gibt in einer Broschüre Tipps:

  • Bei Bekleidung wie Outdoor-Jacken würden bereits Produkte als PFAS-frei beworben.
  • Statt einer beschichteten Pfanne könne man eine Eisen- oder Emaillepfanne verwenden und statt Einweggeschirr, das manchmal PFAS enthält, solle man Mehrweggeschirr den Vorzug geben.
  • Schuhe oder Kleider könne man mit natürlichen Fetten oder Wachsen imprägnieren.

Selbst wenn die Verwendung der PFAS künftig drastisch eingeschränkt werden sollte – und dagegen wehrt sich die Industrie –, selbst dann würden wir die «forever chemicals» noch für Jahrzehnte nicht aus unserem Wasser, aus unseren Böden, aus unserem Blut wegbekommen.

Die PFAS, die wir riefen, werden wir nun nicht mehr los.

Wissenschaftsmagazin, 05.02.2022, 12:40 Uhr

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