Barfüssige Diva, afrikanische Ikone, Königin von Kap Verde – Sängerin Cesária Évora verstarb 2011 knapp siebzigjährig als lebende Legende. Zwei Jahrzehnte zuvor hatte nichts auf ihre Weltkarriere hingedeutet.
Zwischen 30 und 40 hauste Évora schwer depressiv und völlig isoliert von der Aussenwelt in ihrer Hütte. Nach ihrer Krise tat sie wieder das, was sie schon vorher in Kap Verde inselweit bekannt gemacht hatte: Singen – für wenig oder gar keine Gage.
Kannst du noch vögeln?
Ein kapverdisches Restaurant in Lissabon bucht Évora 1988, damit sie singt, während die Gäste essen. Als der Bahnarbeiter José da Silva das Lokal betritt, erliegt er der Magie von Évoras Stimme sofort: «Sie erzeugte in mir ein zutiefst beglückendes Gefühl, das ich noch nie erlebt hatte.»
Prompt beschliesst er, ihr Manager zu werden. Den nötigen Kredit erhält er als Bahnarbeiter nur dank viel Hartnäckigkeit. Ähnlich läuft es bei den Plattenbossen: Erst hören sie Évoras Aufnahmen und finden: «Fantastisch!» Doch sobald Da Silva ein Foto der Sängerin zeigt, hört er: «No way!»
Ohne Alkohol geht nichts
Auch Évora selbst strapaziert das Nervenkostüm ihres Managers. Besonders ihr Hang zum Trinken besorgt Da Silva: «Sie konnte jeden Moment beschliessen, nicht das zu tun, was wir abgemacht hatten.»
Auf der Bühne braucht die Sängerin immer einen Tisch mit Drink und Aschenbecher. Doch das Publikum liebt Évoras «Verpflegungspausen», welche ihre Musiker instrumental überbrücken.
Und plötzlich geht es schnell. Das Debütalbum «Die barfüssige Diva» verkauft sich in Frankreich über 200'000 Mal. Dann schwappt die Begeisterung auf ganz Europa über – und bis in die USA. Bei Évoras Konzert in Los Angeles sind alle 18'000 Plätze ausverkauft.
Plastiktüten voller Geld enden im nächsten Café
Damit wird Évoras Traum vom eigenen Haus real. Zumindest fast. In Kap Verde will ihr die Bank ihr Guthaben nicht in bar auszahlen. Zu gross ist die Summe. Erst als Évora ihre ganze Entourage in die Filiale ruft, gibt der Direktor nach.
Évora schickt ihre Tochter mit einem der prall gefüllten Plastiksäcke nach Hause. Sie selbst geht mit den restlichen Tüten ins nächste Café und verschenkt dort das Geld unter den Anwesenden. Beim Verlassen des Lokals ist alles Geld weg – ein Haus kauft sie erst Jahre später.
Eine Kollegin aus Kindertagen im Waisenhaus sagt: «Freiheit war Teil von Cesárias Wesens.» Wie wenig Évora auf Konvention gab, zeigt sich auch 1999 bei Aufnahmen eines Duetts mit Compay Segundo. Neugierig fragt sie den 92 Jahre alten Kubaner: «Kannst du noch vögeln?»
Der Erfolg hat Évora gemäss ihrer Enkelin nicht verändert: «Sie wollte einfach nur genug zu essen und ein Dach über dem Kopf.» Eines ändert die Sängerin aber: Um Tourneen noch durchstehen zu können, gibt sie mit weit über 60 Jahren das Rauchen und den Alkohol auf.
Bis zuletzt Bestandteil der Bühne bleibt Évoras Tisch. Auch ohne Glas und Zigarette setzt sie sich alle paar Songs zum Durchschnaufen hin. Dieser Teil ihrer Performance geniesst Kultstatus.
Nach mehreren Schlaganfällen verliert Évora 2011 die Fähigkeit, zu singen und somit auch die Lebenslust. Wenige Monate später stirb sie. In ihrer Heimat bleibt sie für viele die grösste Kapverdierin, die je geboren wurde.