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10 Jahre iPhone Steve Jobs und das «i» des Kolumbus

Zehn Jahre ist es her, seit das erste iPhone auf den Markt kam. Es wurde zum Symbol, Fetisch, Status, Anspruch, Lifestyle. 150 Gramm veränderten Leben und Stil radikal. Unvergessen der Moment, als Steve Jobs zum ersten Mal die Steuerung per «touch-screen» demonstrierte.

Am 29. Juni 2007 kam es in den Verkauf, sechs Monate nach der Präsentation durch Steve Jobs und die Apple-Aktie ging durch die Decke. Das iPhone war ein weiteres Gerät, das das «ich» in den Namen nahm und mit dem Produkt verband. Bei Vielen ist diese Verschmelzung geglückt: Versuchen Sie heute mal jemanden von seinem Smartphone zu trennen nach der Devise: «das Ding oder ich, entscheide dich!» – Das kann ins Auge gehen.

Am Tag 1 der neuen Zeitrechnung, als die ersten Läden in Amerika endlich das neue Wunderding verkauften, war der Ansturm gewaltig: Kunden und Verkäufer feierten sich gegenseitig.

Der Trend der ersten Verkaufswoche hielt an: Mehr als eine Milliarde Exemplare wurden zwischenzeitlich verkauft, mittlerweile in der 7. Generation. Zehn Jahre auf dem Markt hat es das Leben Vieler verändert und ist es nicht von der einen dann halt von der anderen Firma – aber Smartes haben heute fast alle.

Das Leben vor «iPhone»

Können Sie sich noch an die Abendessen zuhause erinnern, als man sich noch längerfristig in die Augen oder sonst wohin schaute und «ganz beim Anderen war»? Nein? Eben! Seien wir ehrlich: eigentlich schielt doch fast jeder unter die Tischkante, seitdem ein Benimmpapst behauptet hat, es sei unschicklich, das Ding auf dem Tisch neben den Teller zu plazieren. Ist es auch – andererseits ist es saumässig umständlich, wenn man sich die Mails von vier Accounts weiter schicken lässt und es permanent bimmelt, vibriert und alarmt und man das unter dem Tisch «checken» muss.

Menschmaschine

Erinnern Sie sich noch an die Konzert- oder Theaterpausen, als sie noch mit Menschen sprachen, also Anwesenden? Heute schaut eine ganze Hemisphäre aufs Display, mäandriert herum wie sedierte Hühner, nimmt die wirkliche Welt nur noch im peripheren Sehen wahr, damit auch nur ja kein Zusammenstoss mit den anderen Display-Affinen passiert, die gerade mit Multi-touch beschäftigt sind, das wirkliche Leben als Störfaktor der Intimität von Mensch und Maschine.

Bei der Präsentation durch Steve Jobs hat diese durchschlagende Wirkung ausserhalb der Fangemeinde wohl kaum jemand geahnt, die Berichterstatter auf SRF waren dementsprechend zurückhaltend – logisch: Über nichts lässt sich so schwer berichten wie über das, was in zehn Jahren sein wird.

Vom «Blödphone» zum «Smartphone»

Heute sind wir klüger. Zehn Jahre nach dem kommunikativen Urknall kann man sagen: Smartphones ersparen uns, in Warteschlangen vor Telefonzellen zu stehen. Die Älteren erinnern sich. Telefonzellen, das hiess: Kleingeld, kalter abgestandener Rauch, die Geldschlitze von Komikern mit Kaugummi verklebt und Telefonbücher! Die haben Pubertierende von heute längst vergessen. Das waren die Schinken, die meistens nicht da waren, wo sie hingehörten. Und hinter einem stand immer noch jemand, der wartete.

Das Warten hörte ja schon in den 90ern auf, als die ersten mobiles kamen, das waren reichliche Blödphones, im Vergleich zu den Smartphones von heute. Diese sind blitzschnelle tragbare Computer, die fast alles können. Heute muss niemand mehr im Urlaub ins Internetcafe, zumindest dann nicht, wenn er es sich leisten will am Strand, wo noch ein Restnetz sendet, «mal kurz ins Internet zu gehen».

Warten ist nicht

Wer auch immer im Stau steht oder in einem Zug sitzt, der 13 Sekunden Verspätung hat, wird die Gelegenheit nutzen, dies sofort mitzuteilen, denn alles will und muss gesagt sein und zwar sofort. Und parallel dazu wird er alle «Optionen» checken, wie Umleitungen, Sale-Angebote, Börsenkurse oder rasch den Zwischenstand in Wimbledon live (!) ansehen. Man will «verbunden» sein. Mit der ganzen «All-in-one-Welt».

Weshalb sich manch einer abends etwas «matt» fühlt, mag daran liegen, dass wir heute, wie ein kluger Mensch einmal heraus fand, an einem Tag potentiell mehr Informationen durch uns hindurch jagen, als der Menschheit im dunklen Mittelalter zur Verfügung stand. Einiges davon ist wichtig. Marshall McLuhan sagte vor mehr als 30 Jahren sinngemäss, überleben würden im digitalen Zeitalter nur die, die die besten Selektionsraster haben. Damit meinte er wohl diejenigen, die Mist von Substanz unterscheiden können.

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Möglichkeiten unbegrenzt

Wir müssen niemanden mehr nach dem Weg fragen, wir können uns in unbekannten Städten per Sprachsteuerung das nächste thai-indo-texmex-slowfood-softdrink-vintage-Restaurant oder den nächstgelegenen Individual-Optiker («keine Kette!») empfehlen lassen, wir können unsere Kinder per Bildtelefonie – «facetime» – mal kurz überraschen und wir sehen, dass die in diesem Etablissement, in dem sie gerade stehen, sicherlich etwas fürs Leben lernen aber nichts, was auf ein Din-A4-Blatt passt.

Wir können unseren Partner da erreichen, wo er gerade wirklich ist und sagen, es sei so eine spontane Idee gewesen und ganz lieb gemeint, wir können ihn auch orten, ohne dass er es merkt, wir können mit hunderten Menschen verbunden sein und erfahren in «realtime», so heisst «sofort» heute, was sie bewegt, umtreibt oder was sie ganz einfach wieder mal in die www-Welt gestellt haben, solange es in 140 Zeichen passt.

Die Welt ist zweidimensional und 3,5 Zoll gross

Das iDing kann Leben retten und einem den Verstand rauben, es kann Revolutionen unterstützen, das erste Wort eines Menschen aufnehmen oder den letzten langen Brief zum kurzen Abschied. Es kann Photos machen, die aussehen, als seien sie aus den 40er Jahren oder mit einer Lomo gemacht, es hat den Walkman ersetzt, kein «i» muss mehr Vinyl schleppen, wir transportieren auf diesen nicht mal 150 Gramm tausende Photos, Texte, Mails, Kontakte, Notizen, Sicherheitsrelevantes, Intimes, noch Intimeres.

Für fast alles gibt es eine App, die erleichtert das Leben und macht es zum «iLeben». Wir können damit anderes Gerät steuern, das Ding weiss, wann wir wo in den letzten Monaten waren, wen wir wann angerufen haben, ganz Gewitzte sagen dem Herd zuhause, er möge schon mal mit dem Kochen anfangen.

Telefonkonferenzen kann man damit abhalten, Jugendliche lernen damit zusammen. Machen sie wirklich. Das kostet je nach Abo gar nichts. «Wissen» findet auf rund 60 Quadratzentimetern statt. Die Welt ist zweidimensional und 3,5 Zoll gross. Die Fernsteuerung für das ferngesteuerte Leben. Wer das Ding bedienen kann, kann gar nichts mehr vergessen, er hat es bei sich, irgendwo, irgendwie: «ich» und «phone» – wo ist da der Unterschied?

Multi ist das Minimum

«Prozesse» – auch so ein Wort – haben sich heute übereinander geschoben, alles gleichzeitig, zur Arbeit rennen, gleichzeitig telefonieren, Essen oder «Kaffee to go», ein ganzes «Leben to go» und wer da noch eine einzige Sache zu einem Zeitpunkt macht, wird schlagartig zur Randgruppe. Multi ist das Minimum, obwohl man vom multi-tasken längst weiss, dass das eine der zuverlässigsten Methoden ist, um überhaupt nicht voran zu kommen.

Zeit und Raum lösen sich immer mehr auf: Höfliche fragen noch, ob der Angerufene sich gestört fühlt, denn wo man denjenigen erreicht, in welcher Situation, Umgebung ist fraglich. «Bürozeiten» hiess früher beides: Raum und Zeit. Heute ist es nur noch der Zeit-raum.

Das Leben an sich

Begriffe wie privat und intim haben sich verschoben und sind nur noch eine Frage der Nebengeräusche und der NSA und wie die «Dienste» alle heissen mögen. Eine Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben ist kaum mehr möglich, alles spielt sich auf einem Gerät ab. Eine deutsche Ministerin will das wohl verbieten lassen - diesen fliessenden Übergang von privat und Arbeit und ein grosser Konzern verhindert, dass nach 18 Uhr noch jemand berufliche Mails bearbeiten kann.

Dann beginnt endlich das «iLeben» ohne i, also das Leben, vielleicht sogar das «Leben an sich», denn irgendwann muss diese Masse an Zeit doch mal kommen, die wir gespart haben.

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