Er fehlt nicht einmal in den Nachrufen, der cremefarbige Dreiteiler, der mehr zeigt als nur eine Dandy-Allüre. Tom Wolfe war der Don Quijote der US-amerikanischen Literatur. Er kannte noch die nackte, reine, unschuldige Wahrheit, und so strahlend rein kleidete er sich auch.
Lange verlachte und verspottete ihn der elitäre Literaturbetrieb, doch Tom Wolfe hatte eine unschlagbare Waffe: seine gefährlich spitze Sprache. So trat er an gegen all die miesepetrigen Hochliteraten und Intellektuellen, die er in der Manier von Oscar Wilde als Spezies definierte, die von nichts eine Ahnung, aber zu allem etwas zu sagen hätten.
Wolfe seinerseits gab sich betont bürgerlich-konservativ und verachtete alles Etablierte. Er genoss es, zwischen allen Stühlen zu sitzen.
Surfer-Gangs statt 68er
Schon in den theoriegeschwängerten 1968ern spezialisierte er sich darauf, die Luft aus manchem Überbau rauszulassen. Statt im Spekulativen und in der Abstraktion stecken zu bleiben, knöpfte er sich Design, Mode und Pop-Trends vor.
Statt barrikadenverliebte Bürgersöhnchen zu porträtieren, interessierte er sich für Surfer-Gangs, Auto-Kids, Silikonbusenwunder, Astronauten und den Playboy-Gründer Hugh Hefner.
Manifest des New Journalism
Seine Reportagen-Sammlungen mit flippigen Titeln wie «The Pump House Gang» oder «The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby» machten ihn zum Kultschreiber. Er perfektionierte einen heissnervigen, elektrisierenden Sound, aber damit begnügte er sich nicht.
1973 verfasste er sein Manifest des New Journalism, worin er einen Realismus mit sprachbewusstem Antlitz, eine recherchierfreudige «Brigade» von neuen Emile Zolas forderte.
Zwischen Journalismus und Literatur
Wie Norman Mailer, Truman Capote oder Hunter S. Thompson revolutionierte er mit dem New Journalism sowohl den Journalismus als auch die Literatur, indem er eine faszinierende neue Zwischenform der literarischen Reportage entwickelte.
Zum einen recherchierte er besser und schärfer als die meisten Literaten, zum anderen schrieb er experimentierfreudiger und gewagter als die meisten Journalisten.
So hat er nicht nur in den USA, sondern auch in der Schweiz ganze Generationen von Journalisten und Autoren geprägt. Inspiriert von Tom Wolfes New Journalism sprengten in den 1970er- und 1980er-Jahren auch Schweizer Autoren wie Niklaus Meienberg, Hugo Loetscher oder Laure Wyss die starren Grenzen zwischen Journalismus und Literatur.
Später hat Tom Wolfe auch die sogenannten Pop-Autoren und allerlei Zeitgeist-Akrobaten massgeblich beeinflusst. Doch Tom Wolfe wollte mehr, viel mehr. Wenn er in neue Subkulturen und Szenen eintauchte, wollte er stets den Zustand der ganzen amerikanischen Gesellschaft erfassen.
Den Zeitgeist treffen
Er wollte nichts weniger als den ultimativen Roman der Zeit schreiben. Das Resultat war «The Bonfire of the Vanities» («Fegefeuer der Eitelkeiten»). Ein Megabestseller von 1987, auch erfolgreich verfilmt, der das Treiben der Investbanker an der Wall Street fulminant einfängt, aber auch als Buch ziemlich grossspurig daherkommt.
Die folgenden Epen «Ein ganzer Kerl» (1998) oder «I am Charlotte Simmons» (2004) bewiesen dann eher, dass Tom Wolfe seinen Neonaturalismus allzu sehr fetischisierte und auf die Spitze trieb.