Will man sich Big Data vorstellen, in einer schlaflosen Nacht, sollte man sich die amerikanische Firma Acxiom denken, die alleine 500 Millionen Profile von Personen erstellt hat. Und zu jeder Person besitzt sie etwa 1500 Datensätze.
Man muss sich das vor Augen halten: Acxiom ist nicht allein, sondern eine unter vielen Firmen weltweit, die «Data mining» betreiben. Wer sich dazu denkt, dass jede Versicherungsfirma, jeder Grossverteiler (via Kundenkarte), jede Krankenkasse und jede Kreditkartenfirma fleissig Daten ihrer Kunden sammelt, erhält eine Dimension von dem, was Big Data ist. Wenn wir noch hinzurechnen, dass auch jede App, die wir benutzen, jeder Click, den wir auf Google oder Amazon tun, eine Datenspur hinterlässt, die gelesen, genutzt und mit anderen kombiniert werden kann, kriegen wir das ganze Bild.
Schlaflos, aber warum nur
Wir schlafen schlecht, wenn wir an Big Data denken. Denn seit den Enthüllungen von Edward Snowden und dem NSA-Skandal steht überdies fest, dass auch Geheimdienste Zugriff auf die Datensätze privater Datensammler haben – wenn sie es nur geschickt anstellen und gut genug zahlen.
Big Data ist so innert kurzer Zeit in Verruf geraten. Dabei geht vergessen, dass die sinnvolle, kluge Benutzung grosser Datensätze mehr als nur einen gesellschaftlichen Nutzen bringen kann. Das beweisen Statistiken, erstellt aufgrund grosser Datenerhebungen, seit es die statistische Wissenschaft, die Gauss'sche Verteilungskurve und so etwas wie Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt.
Big Data, so gesehen, setzt da an, wo die gängigen Formen der Datensammlung aufhören und kann, richtig verwendet, wertvolle Hinweise über das vergangene, das jetzige und möglicherweise das zukünftige Verhalten von Menschen liefern. Das beginnt bei der Berechnung von Pendlerströmen, von Energiekonsum und reicht bis zu wertvollen Erkenntnissen über den Gesundheitszustand, die Krankheitsinzidenz und die Morbidität der Bevölkerung. «Big Data kann, und das vergessen wir in der heutigen, sehr moralisch geprägten Diskussion, sehr sinnvoll sein, um unser Leben zu verbessern», sagt der Technologieexperte und Publizist Thomas Ramge.
Das Unbehagen des digitalen Ich
Das Unbehagen ist dennoch vorhanden, und es ist fundamental. Denn in kurzer Zeit wurde einer breiten Öffentlichkeit klar, worin der qualitative Sprung von Big Data besteht.
Dass sich Big Data eben auch nährt von all den Daten, die wir als sogenannte User täglich, stündlich, minütlich ins Netz abgeben, mit jedem Klick auf Google, auf Facebook, auf Amazon. Mit jedem Klick auf den Gratisdiensten im Internet sagen wir etwas aus über uns, füttern die Datenbanken weltweit – wenn auch nicht mehr ganz so arglos wie auch schon. Denn es ist klar geworden, dass es «so etwas wie a lunch for free nicht gibt», wie es der Big-Data-Experte Thomas Ramge formuliert. Wir kriegen diese Dienste nur umsonst, weil wir ihnen etwas geben – unsere Daten. Mit jedem Klick füttern wir ein Profil von uns, ein digitales Ich, das von Algorithmen gelesen, interpretiert werden kann.
Ein digitales Ich, das wächst, das genährt wird von immer mehr Daten. Es entsteht ein Profil über uns: Es wird im Kleinen sichtbar, wenn die Werbung auf unseren Seiten plötzlich dem entspricht, was wir gerade auf dem Web gesucht haben – vom Waschmittel über die Kontaktbörse hin zum Tabletcomputer. Im Grossen wird es bestimmend, wenn die Profile von Millionen Wählern zusammengenommen werden und genau vorausberechnet werden kann, wie die kommenden Wahlen ausgehen werden. Da entsteht etwas von uns, das möglicherweise übergreift auf unser reales Leben.
Ein Verlust an Rechten
Von einem «digitalen Zwilling» spricht die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh und fordert, dass wir eine stete Kontrolle über dieses Alter Ego in den Datenströmen erhalten. Eine Forderung, die «illusorisch» sei, sagt der Historiker Hannes Mangold, denn die schiere Menge der Daten, die über eine bestimmte Person besteht, sei unüberschaubar.
Datenschutz, meint Hannes Mangold, sei denn auch eine Idee der 70er- und 80er-Jahre, als die Datensätze noch relativ klein und kontrollierbar erschienen; und der Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung, ein Ausfluss des Grundrechts auf persönliche Freiheit, sei heute schwierig zu gewährleisten. Zu weit gefasst sind die Daten, die heute mit Big Data unterwegs sind in allen Verästelungen des Netzes.
Ein neuer Gesellschaftsvertrag
Der Verlust an Rechten über die eigenen Daten ist evident, der Befund beunruhigt. Deshalb braucht es neue Konzepte, welche die Grundidee von Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung ins Zeitalter von Big Data hinübernehmen und neu absichern.
Einen neuen Gesellschaftsvertrag für die digitale Gesellschaft hat Alex Pentland, Professor am Massachussets Institute on Technology, vorgeschlagen – ein Vertrag, der auf den Prinzipien beruht:
- Datensicherheit: Sämtliche Kundendaten müssen sicher gespeichert werden.
- Transparenz: Wenn Kunden wissen wollen, wozu ihre Daten gespeichert werden, muss Auskunft gegeben werden.
- Mehrwert: Nur wenn die Menschen erkennen, dass ihre Daten auch einen Mehrwert bringen, ist Datensammeln akzeptabel.
- Verhältnismässigkeit: Es sollen nur Daten gesammelt werden, die wirklich etwas bringen.
Nur so, schreiben die Autoren von «Data Unser», Björn Bloching, Lars Luck und Thomas Ramge, wird sich «eine Kultur des verantwortungsbewussten und kollektiv akzeptierten Umgangs mit Daten herausbilden». Die Forderungen decken sich mit dem Manifest «Gegen Massenüberwachung» , das heute publiziert wurde und das von 560 Schriftstellern weltweit unterzeichnet wurde (auch viele Schweizer Schriftsteller sind mit dabei, darunter Franz Hohler, Eveline Hasler und Peter Bieri). Auch sie fordern, wie sie in ihrem Manifest schreiben, «dass jeder Bürger das Recht haben muss, mitzuentscheiden, in welchem Ausmass seine persönlichen Daten gesammelt, gespeichert und verarbeitet werden».
Ein Aufruf zur Transparenz und zum Respekt im digitalen Zeitalter. Dringend notwendig, dass solche Grundsätze Verfassungsrang erhalten, denn nur so lässt sich die Menschenwürde wahren - die Würde meines digitalen Ichs, und meines Ichs überhaupt.