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Bildmontage: Kopf, bunte Linien und ein Mauszeiger
Legende: Information über Big Data findet sich auch Offline. Getty Images

Das digitale Ich Lesen statt surfen: Bücher zur digitalen Gegenwart

Informationen lassen sich googeln. Doch zuweilen suchen wir kein Faktenwissen, sondern Orientierung und Einordnung. Dann hilft Lesen – drei Bücher, die Fluch und Segen unseres digitalisierten Lebens reflektieren.

Wer auf die Schnelle etwas wissen will, geht surfen und fischt im Datenmeer nach Informations-Happen. Doch wer sich eine fundierte Meinung bilden will, tut gut daran, das eklektische Fischen durch Tiefseebohrungen zu ersetzen. Auch im World Wide Web finden sich mittlerweile Bohrlöcher, die Filterblasen und Echokammern durchstossen. Die Alternative zum Bohrloch ist und bleibt jedoch der Griff zum klug verfassten Buch.

Auch übers digitale Zeitalter werden – anachronistisch vielleicht – Bücher geschrieben. Doch manche dieser Bücher bieten nicht viel mehr als eine Internetrecherche. Sie reihen Beispiele aneinander, werfen Daten und Prognosen durcheinander und verzichten just auf das, was ein Buch leisten könnte: die geistreiche Einordnung.

Buchhinweise:

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  • Heinrich Geiselberger, Tobias Moorstedt (Hg.): «Big Data. Das neue Versprechen der Allwissenheit». Suhrkamp, 2013.
  • W.I.R.E.: «Das grosse Rauschen. Warum die Datengesellschaft mehr Menschenverstand braucht». Abstrakt Nr.12, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2013.
  • Miriam Meckel: «Wir verschwinden. Der Mensch im digitalen Zeitalter». Kein & Aber, 2013.

Farbschichten freilegen

Abhilfe schafft hier ein Band, den Heinrich Geiselberger und Tobias Moorstedt unter dem Titel «Big Data. Das neue Versprechen der Allwissenheit» herausgegeben haben. Im ersten Teil greift das Buch verschiedene Kontexte auf, die dank digitaler Errungenschaften erst möglich oder grundsätzlich reformiert werden.

Eine besondere Perle ist Gerhard Lauers Beitrag über die digitale Revolution der Geisteswissenschaften: Die digitale Ausgabe des Werks von Leonardo da Vinci zeigt beispielsweise nicht nur einzelne Gemälde in einer Auflösung, die kein Museum je bieten kann. Durch Röntgen- und Infrarotaufnahmen macht es auch tiefer liegende Farbschichten sichtbar und eröffnet damit einen Einblick in die Maltechnik des Altmeisters.

Mythos Informationsüberflutung

Ein zweiter Teil des Suhrkamp-Bandes versammelt Essays, die das bunte Treiben im Netz in eigenwilligen Voten kommentieren. Erfrischend beispielswiese, wie Dietmar Offenhuber und Carlo Ratti, die beide am Massachusetts Institute of Technology (MIT) forschen, mit Mythen wie dem globalen Dorf oder der Informationsüberflutung aufräumen.

Ein ähnliches Unterfangen wie der Suhrkamp-Band hat sich der kleine, feine Zürcher Think Tank W.I.R.E. vorgenommen. Unter dem Titel «Das grosse Rauschen. Warum die Datengesellschaft mehr Menschenverstand braucht» plädiert die soeben erschienene Nummer 12 der Heftreihe «Abstrakt» für eine kritische Distanz zum Datenhype.

Intuitionen statt Algorithmen

Stephan Sigrist, der den Think Tank leitet, plädiert in seinem Beitrag fürs Selberdenken: Obwohl Parkleitsysteme oder digitale Medikamentenempfehlungen jedes Nachdenken überflüssig machen, könne kein Algorithmus der Welt je unsere Intuitionen ersetzen. Denn Intuitionen entziehen sich programmierbarer Logik, sind jedoch für kluge Entscheidungen oft unabdingbar.

Eines machen alle genannten Essays deutlich: Der Mensch muss sich verhalten zu dem, was er geschaffen hat. Nur so kann er sich die Mündigkeit, welche er sich in der Aufklärung einst hart erstritten hat, langfristig bewahren.

Verschwinden wir?

In dieses Horn bläst auch die St. Galler Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel in einem schmalen Bändchen, das ebenfalls diesen Herbst unter dem Titel «Wir verschwinden. Der Mensch im digitalen Zeitalter» erschienen ist. «Die Theodizee haben wir hinter uns. Die Technodizee haben wir vor uns», schreibt Meckel. Dabei wird es bei dieser «Technodizee» nicht allein darum gehen, die Technik angesichts der negativen Nebeneffekte, die sie zeitigt, zu rechtfertigen. Wichtig in erster Linie sei es, sie zu gestalten.

Meckels Bändchen mag in vielen Punkten martialisch klingen; zum Beispiel, wenn von Daten als «Eingreiftruppen» und von «Transparenztotalitarismus» die Rede ist. Und ihr Plädoyer gegen eine «digitale Verklärung» und für «digitale Aufklärung» ist mitnichten neu. Doch das Bändchen ist im besten Sinne das, was ein Essay sein sollte: Ein persönlicher Versuch, sich schreibend die Welt zu erklären.

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