Dank dem Whistleblower Edward Snowden weiss ich, dass die amerikanische National Security Agency (NSA) in meinen E-Mails rumschnüffeln kann – eine Frechheit. Selbst Präsident Obama sah sich am 7. Juni 2013 gezwungen, seine Bürger zu beruhigen. «Niemand liest Eure E-Mails.», sagte er. Was gesammelt und analysiert werde, seien im Regelfall nur die «Metadaten».
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Im allerbesten Fall stimmt das, und die NSA sammelt und analysiert von unbescholtenen Bürgern bloss die sogenannten Metadaten. Metadaten geben Auskunft darüber wer, wem, wann eine E-Mail geschickt hat.
Mein Beziehungsnetz auf dem Bildschirm
Na dann, ist das alles halb so wild, dachte ich. Bis ich auf die Website «Immersion» stiess. Auf dieser Website des Massachussets Institute of Technology (MIT) gebe ich temporär meine Email-Adresse und mein Passwort preis. Damit gebe ich der Site aus freien Stücken Zugang zu meinen Metadaten. Und was dann folgt ist atemberaubend.
Ich sehe auf einen Blick mein persönliches Beziehungsnetz auf dem Bildschirm ausgebreitet. Grosse Kreise zeigen Personen an, mit denen ich viel Kontakt hatte. Kleine Kreise solche, mit denen ich ab und zu maile.
Ich sehe zum Beispiel, dass ich meiner Mutter öfter mal ein paar Zeilen schicke könnte. Ich sehe, dass mir meine Tochter vor vier Monaten ihre erste Mail geschickt hat. Und ich sehe, dass ich auch am Wochenende arbeite und mit Arbeitskollegen in Kontakt bin.
Letzte Botschaften von Verstorbenen
Ich erkenne anhand von feinen Strichlinien, wer zusammengehört. Es bilden sich Gruppen von Kreisen. Eine Gruppe steht für eine Handvoll Freunde aus der Uni-Zeit. Da ist ein Trupp ehemaliger Arbeitskollegen. Und da sind die Verwandten väterlicherseits.
Über einen einfachen Schieber tauche ich tiefer ein in meine Vergangenheit. Ich sehe Freundschaften, die versandet sind. Ich verfolge, wie Kollegen zu Freunden geworden sind, und ich erinnere mich an letzte Botschaften von Nahestehenden, die verstorben sind.
Augenöffner
Zwei Studenten am MIT machen das möglich: die Visualisierung meiner Beziehungswelt. Die beiden Studenten sehen Ihre Website «Immersion» als Augenöffner. Sie zeigen, wie viel Metadaten über mich aussagen können. Seit Juni ist die Seite online. Bislang haben sich knapp eine Million eingeloggt und haben über dem Abbild ihrer eigenen E-Mail-Beziehungen gebrütet.
Immersion funktioniert bislang für Google Mail, Microsoft Mail und Yahoo Mail. Und wichtig: Nach dem Besuch der Seite kann man seine E-Mail-Daten löschen. Das habe ich sofort gemacht. Denn meine Privatheit teile ich nur mit mir. Und so wie’s aussieht auch mit der amerikanischen NSA.