Zum Inhalt springen

Abschiede 2019 Bruno Ganz: ein ganz Grosser ist gegangen

Seine Stimme, seine Gebärden, seine Zurückhaltung: Bruno Ganz war unverwechselbar. Am 16. Februar 2019 ist er gestorben.

Ein «Züri-Hegel» sei er, sagt Bruno Ganz in Wim Wenders’ Film «Der amerikanische Freund». Er sagt es in der Rolle des Hamburger Bilderrahmen-Machers Jonathan Zimmermann. Zu einem amerikanischen Arzt in Paris in einem deutsch-französischen Film nach einem amerikanischen Roman.

Die erste Rolle mit 19 Jahren

Das war 1977. Bruno Ganz war damals 36 Jahre alt, längst ein Bühnenstar in Bremen, Zürich, Berlin, und «Der amerikanische Freund» war auch bereits seine neunte Filmrolle.

Die erste hatte er mit 19 Jahren gespielt, eine kleine Nebenrolle als Kammerdiener im Walter-Roderer-Vehikel «Der Herr mit der schwarzen Melone».

Er wollte schon früh Schauspieler werden

Der «Züri-Hegel», das war autobiographisch, eine Reminiszenz des Schweizers an seine Heimatstadt, die seine Basis geblieben ist, trotz seinem zeitweiligen Leben in Berlin, trotz Wohnung in Venedig.

Der Sohn eines Schweizers und einer Italienerin kam 1941 in Zürich zur Welt. Als Arbeiterkind hat er die Matura gemacht und sich seine Ausbildung am Zürcher Bühnenstudio unter anderem mit Jobs als Buchhändler verdient.

Dass er Schauspieler werden wollte, wusste Bruno Ganz offenbar schon früh. Dass er ein Star werden würde, einer der wenigen echten in und aus der Schweiz, konnte er nicht ahnen. Geträumt hat er bestimmt davon.

Ein spröder Star

Bruno Ganz hatte beides zu bieten: erstklassiges Handwerk und einzigartiges Charisma. Beides verbunden mit jener Prise Deutschschweizer Sprödheit, die ihm schliesslich genau jene Starqualität eintrug, die sich nicht fabrizieren lässt.

Denn ein Star war Bruno Ganz zunächst unter den Kollegen, am Theater. Schauspieler des Jahres von «Theater heute» 1973. Inspiration und Reibstein für Regisseure und Autoren, befreundet und zerstritten mit Claus Peyman, Peter Handke, Peter Zadek oder Luc Bondy.

Unverwechselbarer Schauspieler

Seine Unverwechselbarkeit auf der Bühne, seine Stimme, seine Gebärden, seine Zurückhaltung und sein immer wieder spürbares inneres Lodern hätten ihm auch zum Verhängnis werden können: Die grössten Schauspieler, die perfekten Chameleons, sind jene, die man ausserhalb ihrer Rollen kaum erkennt, wie etwa der Brite Alec Guiness.

Die grössten Stars aber sind jene, denen man im Film und auf der Bühne beim Spielen zuschauen kann. Jene, die gleichzeitig ihre Rollen und ihre Schauspieler-Persönlichkeit verkörpern.

Träger des Iffland-Rings

Ein Filmstar ist ein Al Pacino, eine Catherine Deneuve, kurz jene, die man in ihrer Rolle erkennt. Ein Theaterstar ist einer, der das Konzept und die Idee einer Inszenierung mit Emotionen auflädt, der physisch mitreisst und dabei die Sicherheit eines perfekt Ortskundigen vermittelt.

Bruno Ganz konnte das. Als er in Wim Wenders’ «Der Himmel über Berlin» den Engel Damiel verkörperte, die pure Wahrnehmung, die über ihr Sehnen zum spürenden Menschen wird, demonstrierte er diese Kombination aus Handwerk und Charisma. Die Menschwerdung als Idee und als Akt der Liebe.

1996 wurde Bruno Ganz zum Träger des Iffland-Rings, jener Auszeichnung, welche ein Schauspieler jeweils einem anderen auf Lebenszeit vererbt, den er (und gemeint sind Männer) für den würdigsten hält.

Silvio Soldinis Film «Pane e tulipani» machte ihn im Jahr 2000 endgültig zum europäischen Filmstar, im gleichen Jahr, in dem er mit Peter Steins monumental-endloser Inszenierung von Goethes «Faust I und II» auch einen Höhepunkt seiner Bühnenkarriere erlebte.

Die Rolle als Hitler

Und dann kam 2004 Bernd Eichingers «Der Untergang», Bruno Ganz spielte Adolf Hitler, und die Rolle machte ihn fast über Nacht weltweit bekannt.

Seine Manierismen, das Zittern der Hand, der sich langsam steigernde Wutausbruch, die Brüchigkeit und der Fanatismus in der Figur, haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, Bruno Ganz’ Hitler hat in mancher Erinnerung das Original überlagert.

Dabei half das damals noch relativ neue Phänomen des globalisierten Internet-«Meme». Die Filmszene, in der Hitler im Bunker zunehmend tobend seine Generäle zusammenstaucht wurde hundertfach neu untertitelt und verbreitet, der Tobsuchtanfall bezog sich mit der Stimme und Gestik von Bruno Ganz unter dem Meme-Titel «Hitler reacts» plötzlich auf alles, von Chuck Norris über die Pokemon bis zum britischen Brexit-Referendum.

Fluch und Segen

Die weltweite Wiedererkennbarkeit als Hitler war für Bruno Ganz wohl eher Fluch denn Segen. Zwar hat ihm der Ruhm noch etliche internationale Filmrollen eingebracht und die Möglichkeit, sich im Alter Arbeitsorte, Gehälter und Filme auszusuchen.

Andererseits entdeckt man als aufmerksamer Beobachter plötzlich auch in seinen früheren Filmrollen die Spuren von Hitler. Die Gesten, die wiedererkennbaren Manierismen: die Star-Qualität.

Bruno Ganz war beides: Ein leidenschaftlicher, grossartiger Schauspieler. Und ein Star, zu dem auch eine gewisse Unberechenbarkeit gehört, jene Unsicherheit, die jede Begegnung zu einem kleinen, faszinierenden Risiko machte, zu einem Stück Leben mit einem Hauch Bühne.

Meistgelesene Artikel