Das Kino-Highlight: «Portrait de la jeune fille en feu» ist bildschön
Das Jahr ist 1770: Marianne, Tochter eines renommierten Malers, ist eine der ersten eigenständigen Malerinnen. Sie soll ein Porträt malen von Héloïse. Die weigert sich allerdings, zu sitzen, ist das Bild doch als «Verkaufsprospekt» vorgesehen für den reichen Mann, den sie heiraten soll. Aber dann finden sich die zwei jungen Frauen überraschend in Solidarität.
Céline Sciamma packt eine hochverdichtete Emanzipationsgeschichte in diese zwei Stunden – eine schöne Liebesgeschichte ohne Männer, historisch akkurat durchziseliert und zugleich absolut gegenwärtig.
«Portrait de la jeune fille en feu» ist so einfach wie komplex, so anspielungsreich wie leicht verständlich, und so unglaublich voll mit strahlender, schmerzlicher Schönheit, dass man sich fast fürchtet, bald einen weiteren Film anzusehen.
(Michael Sennhauser)
Das Theater-Highlight: Zürich macht alles richtig
So wurde noch nie ein Theater eröffnet: Statt mit Glanz und Gloria und der grossen Prunk-Produktion des Hausherrn mit einem nachhaltigen Reigen bereits bestehender, übernommener Aufführungen.
Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg traten ihre Doppel-Intendanz am Zürcher Schauspielhaus, die sie mit sieben weiteren leitenden Künstlerinnen und Künstlern teilen, im September mit einem bemerkenswerten Statement an: einem Bekenntnis zum Kollektiv statt zur Herrschergeste, zu ästhetischer Vielfalt, Diversität und Nachhaltigkeit.
Weniger Produzieren, dafür mehr vor Ort, in der Gruppe, mit flachen Hierarchien. Raus aus dem Hamsterrad des Regiebetriebs – statt vier Inszenierungen in vier Städten nur zwei, und beide in Zürich. Dazu die Selbstverpflichtung, sich in dieser Stadt für die nächsten Jahre niederzulassen und sich ihr wirklich auseinanderzusetzen.
Das ist das Programm – und es scheint anzukommen, das Schauspielhaus hat in Zürich einen Lauf.
(Andreas Klaeui)
Das Literatur-Highlight: Büchnerpreis für Bärfuss
Das schönste, weil überraschendste Ereignis war der Büchnerpreis für Lukas Bärfuss . Vor ihm haben nur drei Schweizer – Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und Adolf Muschg – diese höchste Auszeichnung im deutschen Sprachraum erhalten.
Und es ist so: Es gibt deutschsprachige Autorinnen und Autoren, und es gibt Büchnerpreisträger. Das ist der literarische Ritterschlag.
Es erstaunt mich nicht, dass die Ehrung aus Deutschland kam. In der Schweiz ist man Bärfuss bis jetzt weniger mit Ritterschlägen als mit Keulenschlägen begegnet. Kein anderer Autor wird hierzulande heftiger herabgewürdigt.
Auch als Büchnerpreisträger wird man ihn weiter kritisieren – hoffentlich. Aber Lukas Bärfuss hat nun einen anderen Stellenwert: Unqualifizierte Kritik an ihm disqualifiziert sich fortan selber.
(Julian Schütt)
Das Kunst-Highlight: Lasst uns über Geld sprechen
Unter dem Druck von Künstlerinnen und Aktivisten haben grosse Museum begonnen ihre Mäzene kritisch zu hinterfragen. Welches Geld soll in Zukunft öffentliche Kunst- und Kulturinstitutionen unterstützen – und welches nicht?
Nach dem grossen Skandal um die Sackler-Familie, die mit ihrer Firma "Purdue Pharma" massgeblich mitverantwortlich gemacht werden kann für die Opioid Krise in den USA , haben viele Institutionen wie das Metropolitan Museum oder das Louvre den Namen aus ihren Museen verbannt. Auch britische Museen hinterfragen in Zeiten des Klimawandels die Beteiligungen von Erdölriesen wie BP.
Die Frage ist natürlich: Wer springt in die Bresche? Und wie sauber muss Geld sein, damit es für die Kultur sauber genug ist? Nur schon die Debatte darüber hat es verdient, dieses Jahr die Topliste der Kunstthemen anzuführen, auch in der Schweiz.
(Stefan Zucker)
Das Philosophie-Highlight: grosse Gedanken im kleinen Format
Die kleine, feine Reihe im Reclam-Verlag hat sich 2019 wieder einmal selbst übertroffen: Unter dem Titel «Was bedeutet alles?» gibt der Verlag seit einigen Jahren eine bunt gestreifte Variante der gelben Büchlein heraus, die sich an die grossen philosophischen Fragen wagen.
Anders als in vielen anderen Reihen werden hier weder Einführungen in die Philosophie angeboten, noch hochtrabende Essays, die zwar feuilletontauglich sind, aber schwer verdaulich. Die Reihe wagt es vielmehr, mutige kleine Interventionen zu drucken und auch unbekannteren Denkerinnen und Denkern eine Bühne zu geben.
Dieses Jahr plädierte beispielsweise der Anthropologe Florian Mühlfried ganz unzeitgemäss fürs «Misstrauen» und Philosoph Christian Neuhäuser fragte: «Wie reich darf man sein?». Mit seiner Reihe hat Reclam einmal mehr im besten Sinne Philosophie für die Westentasche geboten.
(Barbara Bleisch)
Das Musik-Highlight: ein grandioser Licht-Blick
Es ist ein Werk mit gigantischen Ausmassen: Der Opernzyklus «Licht – Die sieben Tage der Woche» des Avantgardisten Karlheinz Stockhausen besteht aus sieben abendfüllenden Opern. Insgesamt rund 30 Stunden Musik – und noch nie wurde das ganze Werk aufgeführt.
Einzig das innovative Holland-Festival in Amsterdam hat sich an diese Herkulesaufgabe gewagt: Während 4Jahren haben rund 600 Beteiligte etwa die Hälfte des Zyklus’ auf die Bühne gebracht. Während jeweils drei Tagen konnte das Publikum im Amsterdamer Gashouder – einem ehemaligen Gasometer – in Stockhausens Licht-Kosmos eintauchen.
Die Qualität dieser Mega-Produktion unter der musikalischen Gesamtleitung von Stockhausens ehemaliger Lebensgefährtin Kathinka Pasveer und in der attraktiven Regie von Pierre Audi machte Lust auf noch mehr. Konkret: auf den vollständigen Licht-Zyklus.
(Moritz Weber)