Der Titel der Wochenschau redet von Internierten. Zu sehen kriegt man die nicht. Sie zeigt nur, wie 60 amerikanische Flugzeuge repariert werden, da wird viel geölt und geschweisst. Schmissige Filmmusik. «Die kranken Vögel fliegen heim und erobern friedliche Länder.» Da steht so viel zwischen den Zeilen, irgendetwas scheint faul.
Wie kommen amerikanische Bomber überhaupt nach Dübendorf? Kein Wort dazu. Vor 20 Jahren hat einer über dieses Thema gearbeitet: Peter Kamber, Historiker und Schriftsteller. Sein Buch von damals steht online . Das Buch ist eine einzigartige Trouvaille: Er hat damals Zeitzeugen befragt, sowohl aus dem Aktivdienst auf Schweizer Seite als auch Piloten.
Kamber zeigt auf, worüber geschwiegen wurde
Was in der Wochenschau nach einem Fest aussieht, war keins, legt Kamber offen. Ab 1943 schiesst die Schweiz scharf: Amerikanische und britische Maschinen werden abgeschossen. Sechs durch Fliegertruppen und neun durch Flab. 36 Tote. Kamber ist schockiert, denn zu dem Zeitpunkt ist klar, dass die Alliierten den Krieg gewinnen werden.
Seit Kriegseintritt der Alliierten gibt es immer wieder Überflüge. Es gibt auch immer wieder Beschuss. Aber keine nennenswerten Treffer. Kamber sagt, das hiess damals «Diplomatenfeuer». Deutschland verlangte von der Schweiz, Alliierte zu beschiessen. So wird zwar geschossen, aber es trifft keiner. Aber die deutschen «Diplomaten» in Bern sind beruhigt, deshalb «Diplomatenfeuer».
Warum wurde ab 1943 geschossen?
9. Juli 1943: Die Alliierten landen in Sizilien. Deutschland befürchtet, die Schweiz könne zum Brückenkopf werden. Der Druck auf die Schweiz steigt Alliierte aufzuhalten.
Die Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1944: Gewitter. Britische Bomber fliegen tief. Zwei Maschinen werden von der Schweizer Flab getroffen und stürzen im Wallis ab.
Am 1. Oktober 1943 wird der erste amerikanische Bomber bei Bad Ragaz abgeschossen: Nur drei Mann überleben.
Neben Abschüssen und Abstürzen gibt es 137 Notlandungen. Die Offiziere werden in Davos interniert, die unteren Chargen in Adelboden. Der Vertreter des US-Militärgeheimdienstes in Bern, US-Militärattaché Barnwell Legge, lässt die Mannschaften anweisen, nicht zu fliehen. Die Mehrheit hält das für einen diplomatischen Witz.
Wer erwischt wird, kommt ins Wauwilermoos
Wenn sie erwischt werden, kommen sie ins Lager Wauwilermoos bei Luzern. Befehligt wird das Lager von André Beguin. «Ein Schandfleck für die Schweiz», sagt Kamber. Béguin ist schon mal aus der Armee geworfen worden, er hat eine braune Vergangenheit in der Schweiz. Jahrelang arbeitet er daraufhin in München für nazi-nahe Organisationen. Unterschreibt mit «Heil Hitler».
Er wird auf eigenen Antrag reaktiviert, bewirbt sich für das Wauwilermoos, «kein Karriereoffizier wollte da hin», sagt Kamber. Die sanitären Einrichtungen sind katastrophal. Béguin nimmt den Insassen die Essenspakete weg, schikaniert sie.
Der amerikanische Soldat Dan Culler wird im Lager von Internierten aus Osteuropa vergewaltigt. Er meldet das Béguin. Der lacht und schickt ihn zurück. Die Vergewaltigungen gehen weiter. «Ich blutete überall», wird Culler später sagen. Culler erkrankt schwer. Wird ins Spital verlegt. Als die Kräfte zurückkehren, flieht er. Schlägt sich nach Genf durch, verkleidet. Trifft drei amerikanische Flieger. Mit ihnen flüchtet er über die Grenze nach Frankreich, wird beschossen. «Ohne Vorwarnung», sagt er.
Und heute?
Aufgearbeitet ist diese Geschichte nicht. Es gibt seit Jahren Versuche, sich der ganzen Wahrheit anzunähern:
- 1993 beleuchtet ein Schweizer Dokumentarfilm das Kapitel Schweizer Geschichte: «Helden vom Himmel».
- 1995. Kaspar Villiger empfängt Dan Culler. Villiger entschuldigt sich offiziell.
- Der amerikanische Offizier Dwight Mears promoviert 2012 mit einer Arbeit über die amerikanischen Internierten in der Schweiz. Dan Culler ist sein Grossvater.
Links zum Film «Erzwungene Landung»
Ironie der Geschichte: Die Gefangenen der neutralen Schweiz gelten nicht als Kriegsgefangene. Eine Anerkennung erhalten sie nie. Bis 2013. Der amerikanische Senat ehrt 157 Piloten und Crewmitglieder. Eine späte Anerkennung. Fast 70 Jahre später.
Der Schweizer Dokumentarfilmer Daniel Wyss hat die Geschichte aktuell recherchiert: Sein Film «Erzwungene Landung» ist der aktuelle Versuch, sich der ganzen Wahrheit anzunähern. Es ist an der Zeit.
Sendehinweis: Der Film «Erzwungene Landung» von Daniel Wyss läuft am 28. Oktober 2015 um 22.55 Uhr auf SRF1.