1961. Das «Freitagsmagazin» beginnt einen Beitrag mit dem Satz: «Wer jetzt noch Geld hat, hat bald keines mehr.» Der Januar sei der Monat, in dem kein Geld mehr da sei – nach Weihnachten. Preisreduktionen werden zum Allheilmittel für den kränkelnden Januar: «Je kleiner die Preise, umso grösser die Schilder», heisst es. Die Schilder sind noch handgeschrieben, in Schnürli-Schrift. «Ausverkauf, das ist Frauendomäne», weiss der Sprecher.
Orgie des ewig Weiblichen
Die «Handgreiflichkeiten» an den Wühltischen seien die «Orgie des ewig Weiblichen». Hört, hört. Die Frau kurble mit dem Rest des «Haushaltungsgeldes» die Volkswirtschaft an. Die Schnäppchenjägerin als Archetyp wird geboren. Männer sind noch selten im kommerziellen Nahkampf. Und wenn, dann stehen sie dumm rum, glotzen in die Luft und halten den Verkehr auf.
Der Look der Schnäppchenjägerinnen: Allesamt gehüllt in totes Tier oder in Kunstpelz, täuschend echt. Frisuren wie Spritzgebäck. Die Damen sind wohl behütet mit futuristisch Topfartigem. Die Foulards sehen aus wie aus Seide, sind aber aus Viscose. Schöner falscher Schein. Daneben viel Gehäkeltes, Gestricktes, Gewobenes, Seelenwärmer für die kalte Jahreszeit, zumeist milde Gaben der Kinder und Enkel aus der Handsggi zu Weihnachten.
Der Homo oeconomicus überlegt noch
1961. Die Kaufhaus- und Verkaufskultur befindet sich noch in den Anfängen, Steinzeit. Höchstens. «Brauche ich das wirklich?», fragt sich manche/r noch. Die Kaufhäuser säuseln noch kein Easy-Listening, dafür Durchsagen am Laufmeter.
Der Filialleiter muss zweimal im Jahr zum Mikrofon greifen und so hörte es sich dann auch an: Ein Knacken, ein Räuspern und dann eine höllisch laute Durchsage. Vom Blatt abgelesen wie in den schlimmsten Erinnerungen, in denen jemand vor der Klasse etwas vorliest und allen nach zwei Sätzen bereits bleiern die Augen zufallen. Eine Reduktion jagt die nächste. Attraktiv ist das alles nicht, muss es auch nicht. Es funktioniert auch so.
Den Mann oder das weinende Kind möge man doch bitte noch abholen. Neben jedem Kaufhausrestaurant muss es damals einen Raum geben, in dem Frau die Restfamilie abholen kann. Die Einrichtung der Kaufhäuser: schmucklos. An den Decken hängen schreiend bunte Schilder, tausendfach. Der Himmel hängt voller Prozente. Ausverkauf ist Ausnahmezustand, damals und eine Frauenwelt.
Sparen als Schlüsselreiz
1980. Die Fernsehbilder sind in Farbe. Ansonsten ist das Meiste beim alten. Halt. Ganz Gewitzte unterlaufen die amtlichen Bewilligungen und machen «Teilausverkäufe» oder «Aktionen», um entweder früher oder das ganze Jahr über Billig-Angebote zu lancieren.
Das sind erste zaghafte Versuche, die amtlichen Bewilligungen zu unterlaufen. Funktionieren tut's nicht immer.
Und sonst? Die gutbürgerliche Tugend «Sparen» gibt es noch. Zumindest was den Anspruch angeht. Eine Frau – sie steht für viele – gibt in der Sendung «Blickpunkt» an, sie kaufe «wählerisch und kritisch».
Das Verkaufspersonal grinst ob solcher Äusserungen: «Die kaufen einfach, weil`s billig ist.» Sparen als Schlüsselreiz. Funktioniert. Das Portemonnaie öffnet sich. Darin noch Geld, kaum Karten. Der saisonale Trällerhit «Ausverkauf». Darin heisst es: «Ausverkauf, Ausverkauf. / Wenn ich das höre, hält mich nichts mehr auf./ Ich nehm' mein Sparschwein und ich haue drauf. / Und lauf und kauf und kauf…»
Und heute?
Den Sonntagsverkauf gibt es. Und den Abendverkauf. Das Internet hat immer offen. Serviceseiten gibt es, die sagen, wo es am billigsten ist. Der digitale Preisdruck auf den Einzelhandel ist enorm.
Prozente gibt's heute schon im Weihnachtsgeschäft, der Januar aus den 60er-Jahren beginnt heute schon im Dezember. Den regulären Ausverkauf gibt es zwar noch, aber Reduktionen sind zum Normalzustand geworden, das ganze Jahr über. Das heisst jetzt «SALE» oder «%».
Weil billig allein nicht mehr reicht, steigen die Verkaufsinszenierungen: Malls sind die Erfindung der Jahrtausendwende. Die Verkaufspsychologie ist zum veritablen Wirtschaftszweig avanciert, Computersimulationen haben die Bewegungsströme der Kunden berechnet. Wer abseits des Stroms seinen Laden hat, der hat das, was man ein Problem nennt.
Die Korrelation zwischen Dur-Tonarten und Verkaufsverhalten wird gemessen. Duftnoten werden versprüht und Weinabteilungen mit Chansons beschallt, um französischen Wein an den Gaumen zu bringen.
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Kaufen und Erotik sind sich nah gekommen, «Geiz ist geil» ist der Slogan zum One-Night-Brand. Exklusiv soll's sein und billig aber nicht billig aussehen sondern teuer. Kaufen und Sparen sind eins geworden.
Wir gehen nicht mehr kaufen. Sondern sparen. Wenn wir überhaupt noch gehen. Ein Internetanbieter verschickt keine Rechnungen mehr sondern die gesparten Beträge. Zum Schreien. Die Rechnung folgt jeweils weiter unten. Aber erst mal fühlt man sich richtig gut. Und hat viel gespart.