1960, Wirtschaftswunder. Unternehmen haben volle Auftragsbücher. Essen wird zur Massenverpflegung auf dreigeteilten Tellern in der Kantine: Die Pampe kommt. Zusätzlich zur Pampe sorgen grosse Unternehmen für Automatenverpflegung, die soll die «Zwischenmahlzeiten» abdecken.
Gefeiert wird die Zeitersparnis, Fernsehbeiträge der Zeit sind auf so flotte Jazzmusik geschnitten, dass da eher geschlungen als gegessen werden muss. Aus den automatischen Fressmaschinen, allesamt «Wunderwerke der Technik», wie die « Schweizer Filmwochenschau » weiss, kommt alles raus: von Kaffee bis zu tiefgefrorenen Würsten, die innerhalb von 30 Sekunden siedendheiss erhitzt werden – eine «Revolution».
«D'Schnörre anehebe»
Das Wort «Fast Food» wird damals nur auf die Verpflegung bei der Arbeit bezogen. Ein Jahr später legt das «Freitagsmagazin» mit einem bitterbösen Beitrag nach: Man müsse nur noch «d' Schnörre anehebe». Von ungesund und Verdauungsstörungen ist die Rede: «Schüblig mit Herdöpfel us de Fressmaschine». Das «Freitagsmagazin» liefert ein ethnologisches Glanzstück von Beitrag auf äusserst nervösen Bebop-Jazz geschnitten.
1962 schlägt das « Freitagsmagazin » wieder zu: Es zeigt eine idealtypische urbane Mittagspause in einem der ersten Schnellrestaurants – auf dass uns die Wurst quer im Hals stecken bleibe. Anfang der 1960er-Jahre gibt es ein Gegensatzpaar: Bei «Muttern zuhause mit Liebe gekocht» und das schnelle Etwas aus Grossküchen, Automaten und den ersten Selbstbedienungsrestaurants. Das ist lange her, Tempus fugit!
Und heute?
In der Zeit zwischen 1960 und 1970 veröffentlichte das Schweizer Radio und Fernsehen 39 Beiträge zum Thema. Zwischen 2010 und 2015 sind es über Tausend. Essen ist heute ein Markt, der von Modeströmungen, wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet wird. Gesundheit fängt beim Essen an. Jamie Oliver füllt Hallen und Salat mischen wird zur Aerobiceinlage, wie «10vor10» berichtet . Köche sind die Superstars nach 22 Uhr. Sie kochen um die Wette, Schaukämpfe: Ossobucco et circensis.
Essen als Inszenierung
Man isst heute nicht einfach so. Esskultur ist angesagt. Früher waren Kochbücher schmucklos, listenartigen Rezepte und basta. Heute sind sie reich bebildert, die Inszenierung der Gerichte schlägt vieles an Modefotografie.
Glaubt man dem Schweizer Buchhandel, so sind Gourmet-Bildbände die meistverkauften Bücher im Weihnachtsgeschäft. Essen ist eine Glaubensfrage. Zeig mir deine Tiefkühltruhe und ich sage dir, wer du bist. Ein Blick in einen fremden Kühlschrank sagt mehr als tausend Worte.
Seit 2006 gibt es eine Gegenbewegung zum Fast Food: das Slow Food. Vom Italiener Carlo Petrini als «gut, sauber, fair» definiert. Der Begriff habe nichts mit Tempo zu tun, zeigt die «Tagesschau» in einem Beitrag , sondern mit der regionalen Herkunft, dem Anbau, der Zubereitung und der Saison. Slow Food ist eine Gegenbewegung zur global-uniformen Massenware. Lokal ist Trumpf, Tradition ebenso. Eine Folge aus der Serie «Landfrauenküche» erzählt davon in Reinform.
Der Salat wächst in der Tüte
Aber heute gilt auch: Time is Money. Ging es 1960 um die Zeitersparnis am Arbeitsplatz, so hat die Schnelligkeit Einzug gehalten in den heimischen Speiseplan: Eine Tüte von dem und eine Packung von diesem, der Salat wächst gewaschen in der Tüte und ist vorgeschnitten bio. Das wird mit viel Liebe zusammengemischt. Das ist nicht zynisch gemeint, sondern erzählt von einer Zeit, in der der Stress des Arbeitsalltags bis in die Küchen durchschlägt, bei Alleinerziehenden doppelt.
Beiträge zum Thema
Auch die Gleichung «schnell gleich ungesund» stimmt so nicht mehr uneingeschränkt. Burger sind zwar so ungesund wie ehedem, es gibt sie aber auch weniger ungesund – dann haben sie aber ihren Preis. Essen ist zu einem Statussymbol geworden. Wer es fair, gesund und mit handverlesenem Mohn auf der Salatbeilage will, zahlt auf der Basler Güterstrasse 23 Franken für ein überschaubares Stück Lasagne.
Zeit ist heute der wertvollste Rohstoff. Beim Essen könne man sie am ehesten sparen, meint man. Und träumt davon, eines zu haben: Zeit satt.