Elisabeth Kübler-Ross, kurz EKR, wird am 8. Juli 1926 geboren. «Do chunnt no meh» sagt ihre Mutter. Am Schluss sind es Drillinge. Als 8-Jährige besucht EKR mit ihren Schwestern und dem Vater die Hinterbliebenen eines verstorbenen Nachbarn. Sie redet mit den Trauernden. Da habe etwas seinen Anfang genommen, sagt eine ihrer Schwestern.
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Bei Kriegsende meldet sie sich freiwillig, um mit sozialer Arbeit zu helfen, am liebsten Kindern. Durch einen Zufall gelangt sie ins Konzentrationslager Majdanek. Das vergisst sie nie mehr: «Wenn Sie Wagenladungen von kleinen Kinderschuhen sehen, wenn Sie Wagenladungen von abgeschnittenen Frauenhaaren sehen, wenn Sie den Tod noch riechen können, dann beginnen Sie Fragen zu stellen», sagte sie in den 70er-Jahren vor Studenten in Zürich.
Bei uns stirbt niemand
EKR studiert Medizin, promoviert, wandert mit ihrem Mann nach Amerika aus und arbeitet dort als Psychiaterin in diversen grossen Krankenhäusern. Als sie eine Spitalleitung fragt, ob sie mit Sterbenden sprechen könne, bekommt sie zur Antwort: «Bei uns stirbt niemand». Das ist Ende der 60er-Jahre. EKR setzt sich durch und interviewt Todgeweihte. Die Ergebnisse veröffentlicht sie 1969: «On Death and Dying» , heisst das Buch. Es geht um die Welt. Seitdem gilt EKR als Begründerin der Sterbeforschung.
Um die Jahrtausendwende ist der Schweizer Regisseur Stefan Haupt auf dem Weg zu einem Filmfestival nach Marseille, um einen Film zu präsentieren. Auf dem Zürcher Hauptbahnhof ist er auf der Suche nach Reiselektüre. Er kauft Kübler-Ross‘ Biographie. Und liest. Tief berührt. Er fühlt sich erinnert: «Kübler-Ross lebte in Zürich an der Klosbachstrasse, meine eigene Familie erst an der Dufourstrasse, dann an der Mühlebachstrasse. Meine Grossmutter war wohl mit Kübler-Ross' Mutter in den Ferien – Arosa.»
«Eneme Schwiizer säg ich niie nei»
Einerseits verbinden sich plötzlich Familiengeschichten, andererseits ist Stefan Haupt verblüfft. EKR schreibt ganz normal über den Tod. Und er selber? «Mit Anfang 20 hatte ich noch nie einen toten Menschen gesehen. Ich hatte den Tod ausgegrenzt.» Er will sie treffen und einen Film über sie machen.
Auf Umwegen gelangt er an ihre Telefonnummer in Amerika. Er wird vorgewarnt, sie könne launisch sein. Sehr launisch. Und: Zwei Schlaganfälle hätten sie sehr gebeutelt. Eines Tages erreicht er sie. Trägt sein Vorhaben vor. Sie hört zu, schweigt erst. Sagt dann: «Vo wo sind Sie? Züri?» Er bejaht. Sie: «Eneme Schwiizer säg ich niie nei. Chömmed Sie, aber chömmed Sie schnell ...»
Rasche Abreise nach Arizona. Er trifft sie, sie sitzt in ihrem Bett, drum herum eine Erinnerungslandschaft mit allem was ihr wichtig und manchem, was ihr heilig ist. Fünf Tage reden sie. Morgens eine Stunde. Nachmittags eine Stunde. Zu mehr reicht es nicht – mehr. Da sitzen zwei aus dem Zürcher Englischviertel zusammen, am Ende der Welt in Arizona und sprechen über die letzten Dinge. EKR selbst – todesnah. Entstanden ist ein Filmdokument, das nachklingt, bis heute.
Die Begegnung ist Stefan Haupt präsent wie damals: «Das Eigenständige an ihr war, dass sie Tabus gebrochen hat. In den Spitälern der damaligen Zeit gab es eine riesen Hemmschwelle, zu sagen, was Sache ist. Keiner hat den Betroffenen, den Verwandten reinen Wein eingeschenkt. Das überliess man lieber der Kirche. Medizin und Seele, das war säuberlich getrennt.
Es ging ihr nicht primär darum, ein Modell zu entwickeln, es ging ihr um die Menschen. Sie hat einmal ein Kind aus einem Spital entführt. Dessen Prognose: vielleicht noch einen Monat. Vielleicht. Kurz vor Weihnachten hat sie es zu seiner Familie gebracht. Ein letztes Mal Weihnachten feiern, sei wichtiger. Freunde hat sie sich damit nicht gemacht. Das Kind hätte sich erkälten können. Sagten Mediziner.»
Und heute?
Kübler-Ross hat ein Umdenken in Gang gesetzt, das uns heute ganz normal vorkommt. Vieles am Umgang mit dem Sterben, ist ohne sie nicht denkbar, an Forschung, an Begleitung, am anderen Umgang in modernen Spitälern mit denen, die bald voraus gehen werden.
Stefan Haupt sagt, die Begegnung habe sein Leben beeinflusst: «Die Zeit war ein Geschenk. Irgendwann habe ich ihr den fertigen Film geschickt: ‹Elisabeth Kübler-Ross – Dem Tod ins Gesicht sehen› . Damals noch auf VHS. Das Telefon klingelte irgendwann. Sie war dran: ‹Hoi Stefan, ich biis, Elisabeth, das isch dänn cheibe schön gworde›.
Kübler-Ross hat den Sterbenden und Angehörigen Trost geben wollen», sagt Haupt. «Das ist auch meine Erfahrung mit dem Film, der hat viele erreicht, die nie über den Tod gesprochen haben.»
EKRs Hauptinteresse sei ganz einfach zu beschreiben, heute, im Abstand der Jahre, sagt Stefan Haupt: «Sie ist auf die Sterbenden zugegangen mit der Frage: ‹Was können wir von euch lernen? Ihr seid die Wissenden. Was braucht ihr?› Ihre Haltung war das Besondere. Ihre menschliche Zuwendungskraft ist ihr stärkstes Vermächtnis.»
Elisabeth Kübler-Ross hat mal gesagt, man habe sie gelehrt, das Leben sei harte Arbeit. Das stimme nicht. Das Leben sei Arbeit und Tanz. Am 24. August 2004 hat sie den Tod zum Tanz aufgefordert.