«Heimat», das Wort kommt aus dem Altdeutschen und bedeutet: «Stammgebiet». In ihrem Stammgebiet oder Stammesgebiet leben heute wohl die wenigsten. Wir reisen in den Ferien, das moderne Berufsleben setzt Ungebundenheit förmlich voraus, für viele ist das Leben in der Fremde fast schon ein Stück Heimat. Die Frage nach dem, was «Heimat» ist, ist so alt wie die Menschheitsgeschichte.
1949 fragt die Schweizerische Vereinigung für Landesplanung insgesamt 15'000 Schüler, wie sie sich ihre Heimat wünschen. Die Schüler schicken Bilder und Texte ein. Der Blick ist bei der Aktion nach vorne gerichtet. Vier Jahre nach Kriegsende kein Wort über die jüngste Vergangenheit.
Der Begriff «Heimat» ist städteplanerisch aufgestellt. Die Kinder sagen, was sie an ihren Dörfern und Städten stört und wie sie ihren Lebensraum lieber gestaltet haben möchten. Da ist von Architektur die Rede, die das «gewachsene Bild» störe, von «neumodischen Schildern, die das Gesicht der Altstädte stören.» Man hört deutlich die Eltern durch. Spielplätze gebe es zu wenig und Verbote zu viele. Der einzig Glückliche scheint ein Tessiner Knabe mitten in seinem Stammesgebiet zu sein, weitab jedweder Modernität. Was Heimat ist, bleibt ungefragt.
Lebenslänglich Gast
Die 1950er- und 60er-Jahre sind gekennzeichnet vom Wirtschaftswunder und der Zuwanderung sogenannter Gastarbeiter. Der Angst vor der «Überfremdung» und dem «Schutz der Heimat» gibt Nationalrat James Schwarzenbach mit seiner Initiative ein Forum. 1970 wird sie knapp abgelehnt: Das Volk stimmt gegen die Ausweisung von 350'000 Fremdarbeitern.
Der Heimatbegriff beginnt sich darüber zu definieren, was und wer nicht dazu gehört. Viele Menschen sind «Gast» in der Schweiz und werden es bleiben; sie sind zwar da, bleiben aber draussen.
In einem «Schauplatz»-Beitrag aus den 1980er-Jahren sitzt Bundesrat Willy Ritschard mit seinen Enkeln vor der Haustür in der Sonne und sagt: «Heimat kann man nicht am Heimatbrief festmachen.» Heimat sei da, «wo man sich verstanden fühlt, wo man geborgen ist.» Heimat sei auch ein Auftrag, sagt er: «Heimat muss man machen.» Ritschard gibt eine sehr persönliche Definition, keine politische. Das geografische, politische Stammesgebiet als Grösse wird ausgeblendet.
Muttersprache statt Vaterland
Zur selben Zeit sagt der damalige Intendant des Zürcher Schauspielhauses Leopold Lindtberg, Heimat sei eine grammatikalische Rarität, «da sie nur im Singular auftritt.» Er fragt nach all denen, die ihre Heimat verloren hätten, aber keine neue gefunden.
Der Schriftsteller Hugo Lötscher sagt Jahre später, sein Briefkasten sei zwar in Zürich, er habe aber mehr als eine Heimat, die ganze Welt sei seine Heimat. Der Begriff «Heimat» beginnt, sich von einem geografischen Gebiet abzulösen. Sprache könne Heimat sein: Muttersprache statt Vaterland.
Gehört Jodeln zur Heimat?
Anlässlich der 700-Jahrfeier 1991 wird nochmals viel geredet über Heimat und Stammesgebiet. Bei einem Picknick auf dem Rütli unterhält sich ein Bundesrat mit Künstlern, das macht die Politik gerne, wenn es um Werte geht. Tenor: Es sei schwierig, die Kultur einer Heimat als ausschliessendes Moment zu definieren und den Begriff «Heimat» als absolut zu setzen.
In den 1990er-Jahren wird der Begriff «Heimat» mit Modernität aufgeladen. Traditionen werden in Frage gestellt: «Gehört Jodeln zur Heimat?» Während man vorher gefragt hat: «Wer gehört nicht in die Schweiz?» fragt man jetzt: «Was von der Schweiz gehört nicht dazu?»
Sendungen zum Thema
Und heute?
Definitionen darüber, was Heimat ist, sind selten. Was sie nicht ist, gibt’s häufiger. Heimat, woran ist der Begriff gebunden? An Sprache, Kultur, Grenzen? Was könnte heute noch eine Definition von «Heimat» sein?
Vor ein paar Jahren spielt sich in einem interkulturellen Projekt in Basel folgende Szene ab: Ein 12-jähriges Mädchen aus Sebrenica sagt: «Heimat ist da, wo ich keine Angst haben muss.» Ein kleine Tamilin übersetzt das für ihren Vater. Beide nicken.
Ein anderes Mädchen steht dabei und beginnt zu weinen. Ihre beste Freundin sei nach den Ferien nicht mehr in die Schule gekommen. Sie sei in ihrer Heimat verheiratet worden. Und wenn das stimme, dass Heimat heisse, keine Angst zu haben, dann habe ihre Freundin jetzt alles verloren, auch ihre Heimat.
Heimat – was verstehen Sie darunter?
Was ist Heimat für Sie? Schreiben Sie uns Ihre Definition, Gedanken oder eine Geschichte, in der ein Stück Heimat steckt: einfach hier unten in der Kommentarspalte.