Zum Inhalt springen

Diskriminierendes Design Design für alle statt nur für weisse Männer

Ob Kamera, Pflaster oder Trottoir: Design ist oft für den durchschnittlichen weissen Mann konzipiert. Um die Welt den Bedürfnissen aller anzupassen, braucht es mehr als nur ein bisschen pinke Farbe.

Der Staubsauger ist so ein Ding. Eigentlich praktisch, erleichtert er doch die Hausarbeit. Aber so einfach ist es nicht: «Der Staubsauger ist ein typisches Beispiel dafür, wie Arbeit im Haushalt auch erschaffen wurde, um die Hausfrau zu beschäftigen», erklärt Rebekka Endler.

ein schwarz-weiss Foto einer Frau am Staubsaugen
Legende: Laut Rebekka Endler wurde mit dem Staubsauger auch die Hausfrau erfunden. Getty Images / George Marks

In ihrem Buch «Das Patriarchat der Dinge» führt die Journalistin aus, wie unser Alltag, unsere Gegenstände und unser Zusammenleben aus Männersicht designt sind.

«Vor der Erfindung des Staubsaugers gab es in vielen Haushalten keine Spannteppiche, sondern einfach lose Teppiche. Diese wurden dann zusammengerollt und ausgeklopft. Das war eine Familientätigkeit.» Mit dem Staubsauger habe sich dies grundlegend geändert: Rebekka Endler führt plausibel aus, dass der Staubsauger einen neuen Beruf erschaffen hat, der meist nicht als solcher wahrgenommen wird: den der Hausfrau.

Design ist nie neutral

Das macht den Staubsauger zu einem Beispiel für patriarchales Design. Er führt vor Augen, welche genderspezifischen Zuschreibungen sich an Objekten und Tätigkeiten festmachen lassen.

Nicht die Form ist hierbei patriarchales Design, sondern der Zusammenhang. Denn unter Design versteht man mehr als bloss Produktdesign. Es kann auch bedeuten, wie wir den öffentlichen Raum gestalten, die Infrastrukturen, das Zusammenleben.

«Design umfasst quasi alles, was aus einem menschlichen Kopf heraus entstanden ist», sagt Buchautorin Rebekka Endler. «Es ist die Idee, die wir unseren Gedanken geben, sowohl in der gegenständlichen als auch in der nicht-gegenständlichen Welt.» Wichtig sei, sich klarzumachen, dass Design nie neutral ist: «Es entspricht immer einer gewissen Haltung.»

Wir alle sind geprägt von Stereotypen

Deswegen sei die Genderperspektive im Design so wichtig, bekräftigt Claudia Herling. Sie ist Designerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heilbronn im Fachbereich der IT-Technologie. «Designerinnen und Designer bestimmen, wie Dinge funktionieren, wie Dinge benutzt werden können, wer sie benutzen kann und soll.»

eine Frau sägt ein Holzbrett
Legende: Nicht immer entwickeln Designerinnen und Designer Produkte, die für beide Geschlechter benutzbar sind. Getty Images / funky-data

Dabei vergesse man leicht, dass wir geprägt seien von den Stereotypen, die uns umgeben. «Wenn wir gestalten, adressieren wir das Geschlecht in irgendeiner Form unbewusst mit», so die Forscherin, die genderbewusstes Design an mehreren Kunsthochschulen unterrichtet. «Und dabei passiert es häufig, dass eine eindimensionale Perspektive aufs Geschlecht mittransportiert wird.»

Design widerspiegelt Stereotypen

Oft spanne dabei das Marketing mit dem Design zusammen. Das Ziel sei dabei, Produkte doppelt zu verkaufen – einmal für den Mann und einmal für die Frau. Die einfachste Methode, dies zu erreichen, sei «Pinkwashing», führt Claudia Herling aus: Man nehme ein Objekt, das erst für Männer entworfen wurde, mache es kleiner und male es rosa an – und schon hat man ein Produkt, das Frauen ansprechen solle.

eine Frau hält eine rosa Pistole
Legende: Eine Pistole, die zum Nagellack passt? Eine Folge von «Pinkwashing». Alamy / Addictive Stock Creatives

Mit merkwürdigen Folgen: «Die Objekte sind dann nicht mehr ernst zu nehmen», so Gender- und Design-Spezialistin Claudia Herling von der Universität Heilbronn. «Wenn ich mir eine Pistole vorstelle, die ich rosa anmale und kleiner mache, dann habe ich vor dieser Pistole höchstwahrscheinlich nicht besonders viel Angst. Sie sieht irgendwie lächerlich und kraftlos aus.» Ihr Fazit ist klar: «Solches Design macht transparent, wie Frauen in der Gesellschaft gesehen werden.»

In Genderfallen wie dieses «Pinkwashing» treten Designerinnen und Designer immer wieder. Manchmal sei es gar nicht so einfach, zu erkennen, ob ein Produkt gegendert sei, meint Herling. Ein probates Mittel dazu sei das sogenannte «Gender Swapping» – ein Vorgehen, bei dem die Geschlechterrollen umgedreht und überhöht werden.

Eindrücklich führt das ein Sketch der US-amerikanischen Late Night Show «Saturday Night Live» vor Augen: Entgegen dem Stereotyp der Hausfrau, welche für den Mann den ganzen Haushalt erledigt, ist es diesmal die Frau, die zur Arbeit geht. Der Mann bleibt zu Hause und definiert sich über seine Haushaltsgeräte: Doch sein Staubsauger ähnelt eher einem Traktor und die Waschmaschinentüre ist aus schwerem Stahl, die er wie einen Tresor mit einem Rad öffnet.

Frauen sollen designen

Auf Genderzuschreibungen sollte besser bereits verzichtet werden, bevor das fertige Produkt vorliegt, findet Simone Züger. Die Appenzeller Designerin entwirft in ihrem Studio in Zürich Objekte und grafische Produkte.

Bereits während ihrer Ausbildung in visueller Kommunikation an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK sei ihr aufgefallen, dass sie keine weiblichen Vorbilder habe. Ausser einer Professorin seien damals alle Lehrpersonen Männer gewesen.

Hier ortet Simone Züger einen Ursprung für patriarchales Design: «Ich glaube, es hat auch damit zu tun, dass in Agenturen oder Werkstätten oft männerdominiert gestaltet wird: Werbe-Agenturen oder Studios werden von Männern geführt. Sie sind es, die entscheiden.»

Solange keine Frauen Produkte entwickelten, werde der Wandel auch nicht kommen, ist Züger überzeugt. Als sie sich selbständig gemacht hat, hat sie zusammen mit einer Freundin gleich eine Initiative für Frauen aus der Kreativwirtschaft gegründet.

Weiblicher Wein?

Was die 35-Jährige mit Design ohne Zuschreibungen meint, zeigt sie am Beispiel von Etiketten, die sie für Weinflaschen eines kleinen Familienbetriebs gestaltet hat. «Das Produkt sollte einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht zugänglich sein, ohne elitär zu wirken.»

Hier kommt neben dem Gender-Thema im Design eine weitere Komponente ins Spiel: Diverses Design, das Menschen nicht je nach Füllstand ihres Geldbeutels ausschliesst, sich also nicht nur an zahlungskräftige Nutzerinnen und Nutzer wendet.

zwei Weinflaschen mit Etiketten
Legende: Ein Design ohne Zuschreibung: Die Weinetiketten von Simone Züger sind klassisch und schnörkellos gestaltet. Simone Züger

Die Designerin hat die Etiketten mit Handschrift gestaltet, in Schwarz-Weiss. «Das macht einerseits für den Familienbetrieb die Druckkosten geringer, andererseits impliziert das Design aber auch den erschwinglichen Charakter», erklärt sie.

Bewusst habe sie auf Bilder und Symbole verzichtet, denn diese würden automatisch einem Geschlecht zugeschrieben. Besonders bei Rosé-Weinen sehe man die Schwierigkeit, genderneutral zu gestalten, so die Designerin: «Da gibt es geschwungene Schrift in Kombination mit mehrheitlich rosa Blumen, Pflanzen, oder allgemein floralen Ornamenten.» Solche Gestaltung richte sich offensichtlich an eine weibliche Käuferschaft.

Mehrere Bilder sind besser als ein einzelnes

Dem pflichtet auch Claudia Herling von der Universität Heilbronn bei. «Bilder sind schnell ausschliessend, vor allem, wenn ich mich auf ein einziges Bild beschränken muss», sagt sie. «Besser ist es, wenn ich variabel sein kann.»

Auf einer Website könne man ohne Aufwand mehrere Bilder einsetzen: Zum Beispiel bei einem technischen Gerät Menschen verschiedener Herkunft, Alters oder Geschlechts zeigen, um möglichst viele Bevölkerungsgruppen anzusprechen.

Gerade im digitalen Design sei Achtsamkeit geboten, weil das, was man dort entwickle, nicht nur eine kleine Zielgruppe betreffe, sondern unter Umständen Millionen von Nutzerinnen und Nutzern. «Umso wichtiger ist es, Personen nicht durch Design oder Technologie auszuschliessen.»

Da sei es von Vorteil, in klug zusammengesetzten Teams zu arbeiten: Je diverser die Leute, desto aufmerksamer wird mit diesen Diversitätsfallen im Design umgegangen.

Voreingenommene Technik

Wie heikel Technologie sein kann, zeigt das Beispiel eines Kamera-Features. Es sollte erkennen, ob die fotografierte Person die Augen geschlossen hat. «Bei asiatischen Menschen hat dies dazu geführt, dass die Kamera dauernd meinte, dass die Menschen auf den Fotos die Augen zu hätten – und zu neuen Aufnahmen riet», erzählt Claudia Herling. «Das verrät natürlich, mit welchen Datensätzen dieses Feature trainiert wurde.» Offensichtlich nicht mit asiatischen.

eine Gesichtserkennungssoftware am Computer, mit Menschen im Hintergrund
Legende: Auch bei der Entwicklung von neuen Technologien, etwa der Gesichtserkennung, müssen diverse Datensätze benutzt werden. REUTERS / Damir Sagolj / File Photo

Solche fehlerhaft designte Technologie könne tatsächlich gravierende Auswirkungen haben. Zum Beispiel, wenn Kameras zur Gesichtserkennung bei Kriminalfällen eingesetzt würden. «Wenn diese Gesichtserkennung letzten Endes zum Beispiel People of Colour nicht auseinanderhalten kann, sie verwechselt und vermeintlich der Tat überführt, ist dies natürlich ein Riesenproblem», so Herling.

Make-up und Pflaster für jede Haut

Nicht immer geht es gleich um Leben oder Tod. Diversität im Design tangiert alle Lebensbereiche. Zum Beispiel so Alltägliches wie Schminke. Dort hat sich nicht erst seit der «Black Lives Matter»-Bewegung viel getan: Foundations, Concealer und sogenannte Nude-Lippenstifte für helle bis dunkle Teints füllen auch in der Schweiz etliche Regale. Weltweit befeuert hat dies die Sängerin Rihanna, die mit ihrer eigenen Marke 2017 Make-up für 40 Hauttöne lancierte.

verschiedene Foundations in hellen und dunkleren Tönen
Legende: Rihanna gilt als Vorreiterin: Ihre Kosmetik-Linie beinhaltet Schminke für jegliche Hauttöne. Getty Images / Bryan Bedder

Anders sieht es bei Pflastern aus: «Es hat mich 45 Reisen um die Sonne gekostet, aber zum ersten Mal in meinem Leben weiss ich, wie es sich anfühlt, ein Pflaster in meinem eigenen Hautton zu haben», twitterte der 45-jährige Kalifornier Dominique Apollon im Frühling 2019. Dazu postete er ein Foto seiner Hand mit Pflaster: «Man kann es auf dem ersten Bild kaum erkennen. Ich muss meine Tränen zurückhalten.» Gekauft hat er es bei einer kleinen Online-Firma namens Tru-Colour.

Für viele ist klar: Weisse oder helle Pflaster können als Zeichen von strukturellem Rassismus gelesen werden. Jetzt reagieren auch grössere Pflasterhersteller: So hat Johnson & Johnson auf Instagram versprochen, noch in diesem Jahr eine Pflasterlinie mit verschiedenen Hauttönen auf den Markt zu bringen. Hansaplast hat bereits ein ähnliches Angebot – allerdings nur im Onlinevertrieb.

Wissen an Hochschulen verbreiten

Bleibt eine grosse Frage: Wie kann Diversität im Design in Zukunft gewährleistet werden? Ganz konkret, indem man die angehenden Designerinnen und Designer bereits in der Ausbildung sensibilisiert. An vielen Kunsthochschulen und Universitäten hat man dies erkannt: Es gibt unterdessen Ausbildungspunkte zu Gender und Design.

Vermehrt nehmen auch die Themen Diversität und Inklusion im Design Platz in der Ausbildung ein: Jüngst hat das Bundesamt für Kultur unter anderem die Dozentin und Forscherin Sarah Owens von der Zürcher Hochschule der Künste mit einem Grand Prix Design 2021 ausgezeichnet: Sie lehrt und forscht zu vielfältigem und inklusivem Design.

ein älterer Mann steht mit Rollator vor dem Fussgängerstreifen
Legende: Immer wieder gehen auch die Bedürfnisse von anderen Bevölkerungsgruppen, beispielsweise älteren Menschen, vergessen. Keystone/Gaetan Bally

Und welchen Part können die Konsumentinnen und Nutzer selbst übernehmen? «Natürlich kann man seine Kaufentscheidungen sehr bewusst treffen», stellt Claudia Herling klar, die ebenfalls Gender und Design unterrichtet.

Wichtig sei, zu hinterfragen, was einen umgebe und welche Wahl man treffe. Mitzuwirken fange bei kleinen Dingen im Alltag an und lasse sich fortsetzen bis zu politischem Aktivismus. Stadtentwicklung sei ein Bereich, in dem die Bevölkerung Entscheidungen politisch beeinflussen könne.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Rebekka Endler: «Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt». Dumont, 2021.

Dazu besteht nach wie vor Bedarf. So hat Journalistin Rebekka Endler in ihrem Buch darauf aufmerksam gemacht, dass Trottoirkanten zwar für Autos bei Garageneinfahrten abgesenkt werden, für Kinderwagen und Rollatoren an Kreuzungen manchmal aber vergessen gehen. Oder es wird die Frage aufgeworfen, wie es um die Toilettenverteilung im öffentlichen Raum steht: Die Antwort liefern die Warteschlangen vor den Frauenklos.

Modernes Frauenurinal 
Legende: Ein Gegenvorschlag zur Toiletten-Misere: Ausschliesslich für Frauen konzipierte Urinale. Wikimedia / Prince Grobhelm

Dies sind bloss Puzzlestücke eines grösseren Ganzen. «Ich fühle mich als Designerin in die Pflicht genommen, weil ich helfe, die Gesellschaft zu formen», sagt die Designerin Simone Züger.

Und auch für Claudia Herling ist klar: «Als Designerin ist es absolut wichtig zu verstehen, dass man die einzige Person im Raum ist, die für die Nutzenden entscheidet.» Also müsse sie sich als Designerin darum kümmern, etwas Angemessenes zu entwickeln. «Das ist eine grosse Verantwortung.» Aber auch eine grosse Chance.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 14.06.2021, 09:03 Uhr

Meistgelesene Artikel