Fellini mochte es nicht – das Fernsehen und die Werbung schon gar nicht. Silvio Berlusconis «Canale 5» hatte im Frühjahr 1985 damit begonnen, Filme des Regisseurs, von «Otto e mezzo» bis «Vitelloni» und von «Sceicco bianco» bis «La dolce vita» auszustrahlen. Der spätere italienische Ministerpräsident Berlusconi hatte die Ausstrahlungslizenz an diesen und weiteren 60 Spielfilmen für 1,5 Millionen Euro von «Rizzoli Film» erworben.
Fellini, dem es zuwider war, dass seine Filme von Werbespots für Windeln und Deodorants unterbrochen werden, bestand vergeblich auf Unterlassung der Unsitte. Als die aussergerichtliche Einigung mit Berlusconis Anwälten scheiterte, verklagte der Regisseur den Sender und verlor prompt den Prozess.
Das römische Amtsgericht hielt in seiner Urteilsbegründung fest: «Der künstlerische Wert der Filme Fellinis steht ebenso ausser Frage wie die Unzulässigkeit eines Eingriffs in den Erzählrhythmus, der als Kunstwerke anerkannten Arbeiten. Es steht allerdings auch fest, dass sich der Fernsehzuschauer an das Phänomen der Werbeunterbrechungen gewöhnt hat.»
Das Fernsehen unterwirft die Menschen
Letztlich berief sich der Richter auf die Gesetzgebung für das private Fernsehen, die die maximale Dauer der Werbeunterbrechungen auf 20 Prozent (!) je Programmstunde fixierte, ohne freilich Qualitätsunterschiede der ausgestrahlten Werke zu berücksichtigen.
Fellini zum Urteil: «Es hat mich überrascht. Vermutlich ist es juristisch sogar fundiert. In Wirklichkeit allerdings nicht, denn es berücksichtigt nicht das Recht des Autors auf Integrität des Werkes. Und wenn das Gericht behauptet, dass sich der Zuschauer an die Werbung gewöhnt hat, heisst das nicht etwa, dass man sanktioniert, dass das Fernsehen die Menschen unterwirft?»
Kein Wunder also, dass Fernsehen und Werbung einen einschlägigen Einfluss auf Fellinis Spätwerk hatten. Auch in seinen letzten Filmen legte der Regisseur offen, woran die Gesellschaft krankt und erzeugte zum x-ten Mal eine Kontroverse. Mitte der Achtziger ging es um die Oberflächlichkeit einer Gesellschaft, die sich zunehmend dem Konsum hingab und sich von einem Fernsehen «bilden» liess, das ins Rohr der allgemeinen Wurstigkeit blies.
Gegen die Vulgarisierung der Gesellschaft
Freilich war Fellini dem Medium gegenüber nicht indifferent. Er arbeitete zweimal fürs Fernsehen. 1969 drehte er «Block Note» für die NBC und 1970 «I clown» für die RAI. Seine Werbespots für Campari und Barilla sind zeitlos klassisch, so wie die beworbenen Produkte.
Eine seltsame Mischung also aus Ablehnung und Anziehung. Manchmal vertrat Fellini die Meinung, das Fernsehen sei nichts weiter als ein Unterhaltungs- und Informationsmedium. Meist jedoch sah er die Privatsender als eine nicht zu besiegende Macht, die für die Vulgarisierung der italienischen Gesellschaft verantwortlich war.
Aus dieser zweiten Perspektive heraus entstand «Ginger e Fred», Fellinis letzter und leider unerhörte Appell an das italienische Volk. Das orchestrierte Chaos aus «Prove d’orchestra» fehlte diesmal, für den Eklat sorgte die Darstellung einer ungezogenen, inkompetenten und respektlosen Gesellschaft, Fellinis «Bestiarium perversum» im Fernsehstudio.
Fellinis Abrechnung mit Berlusconi
«Ginger e Fred» ist die Geschichte von zwei gealterten Stepptänzern, gespielt von Fellinis Musen Giulietta Masina und Marcello Mastroianni, deren grosse Erfolge als Varietékünstler über ein Vierteljahrhundert zurückliegen. Sie nehmen das Angebot eines Fernsehsenders an und lassen sich für eine Weihnachtssondersendung rekrutieren, um ihre alte Tanznummer aufzuführen und längst vergangene Zeiten wieder aufleben zu lassen.
Im Zentrum freilich stehen nicht Geisterbeschwörer, Transvestiten und eben Ginger und Fred, sondern der Moderator und seine Assistentinnen, die Berlusconi als «Veline» tausendfach vervielfältigte, enttäuschte Hoffnung auf Prominenz und natürlich – die Werbeunterbrechung.
Der Film, 1985 entstanden, ist geradezu prophetisch und eine bitterböse Abrechnung mit Silvio Berlusconi, der hier als orwellscher «Big Brother» namens «Cavalier Fulvio Lombardoni» die kindische Ignoranz des Publikums ausnutzt.
Der Meister kapituliert vor dem Moloch
Wenige Tage vor der Premiere von «Ginger e Fred» sagte Fellini: «Der Geschmack des Kinopublikums hat sich wegen des Fernsehens verändert – es ist jetzt ungeduldig, fiebrig, verbildet, also das Gegenteil des nachdenklichen Zuschauers, der geniessen, verarbeiten, verstehen und reflektieren möchte.»
In «Ginger e Fred» lässt Fellini seiner Verärgerung über eine italienische Kultur, der er sich zunehmend entfremdet fühlte, freien Lauf. Der Film zeugt nicht nur von der radikalen Veränderung des italienischen Fernsehens in den achtziger Jahren, sondern auch von der Verzweiflung Fellinis, der vor einer seelen- und herzlosen Gesellschaft und dem Moloch Fernsehen kapituliert, der alles in einen gigantischen Werbespot verwandelt.
Der Nebel, der durch die Strassen Riminis in «Amarcord» wabert, der Stromausfall im Orchestergraben von «Prove d’orchestra», der dunkle Tunnel in den der Zug in «La città delle donne» rast, ein weiterer Blackout im Fernsehstudio von «Ginger e Fred», Fellinis Metaphern für alles, was die klare Sicht trübt.
Zeit zum Nachdenken
In 40 Jahren Kino hat der Regisseur versucht, dem Zuschauer die Augen für das Wesentliche zu öffnen, ihm eine Pause zum Nachdenken zu verschaffen und sein Publikum vor verqueren Ideologien und falschen Mythen zu schützen. Die Rolle des Künstlers als Enthüller amoralischer Gedanken und Strömungen war die «conditio sine qua non» des fellinianischen Credos.
Dieser Artikel erschien erstmals am 31.10.2013.