Mena will dem Ex in Berlin einen Blumenstrauss kaufen. Ella möchte von ihren italienischen Grosseltern nicht Enkeltochter genannt werden. Und die schwangere Laurianne gibt sich auf einer Zürcher Baustelle besserwisserisch.
Die Stichprobe ins Programm der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur macht’s deutlich: Viele der sich über das gesamte Gender-Spektrum verteilenden Regie-Personen nehmen sich in diesem Jahr Geschlechterklischees zur Brust. Indem sie die althergebrachte Rollenverteilung auf den Kopf stellen, lustvoll mit Erwartungshaltungen spielen oder ganz grundsätzlich die Polarität zwischen Mann und Frau infrage stellen.
Besonders auffällig ist diese Tendenz im Schweizer Wettbewerb, wo sich erfreulich viele Filmemacherinnen Hoffnungen auf den mit 10'000 Franken dotierten Hauptpreis machen dürfen. Gut möglich, dass einer der drei helvetischen Wettbewerbsbeiträge, die in diesem Artikel beleuchtet werden, letztlich das Rennen macht.
«La gravidité»: Gravierender Gender-Gap
Jela Haslers knapp 15-minütiger Kurzfilm beginnt mit einem ungewohnten Bild: Eine Städterin pinkelt draussen. Nicht auf offener Strasse und auch nicht einfach irgendwohin, wie das verantwortungslose Männer manchmal tun. Sondern von Blicken geschützt hinter einer Mauer am Zürcher Hegibachplatz, schön sorgfältig in einen Becher zielend.
Laurianne will möglichst rasch wissen, ob sie schwanger ist. Und da sie als Architektin einen vollen Terminkalender hat, nutzt sie beim Warten auf den Arbeitskollegen, der sie in Kürze abholen soll, die Gunst der Stunde. Wenig später ist klar: Sie erwartet tatsächlich ein Kind. Und zwar von ihrem Freund Fabrice, welcher der neuen Situation nur wenig Positives abgewinnen kann.
Doch wie geht die Schwangere damit um? Wie verändert der im medizinischen Fachjargon Gravidität (frz. gravidité) genannte Zustand ihr Verhalten und ihre Wahrnehmung der Welt? Mit wachem Blick für geschlechtsspezifische Rollenmuster beleuchtet Jela Hasler den Wandel ihrer modernen Heldin. Wie diese «Vulva» auf «Volvo» reimt, bevor sie ihrem Macho-Kollegen tatkräftig das Maul stopft, ist eine von vielen Überraschungen dieser stimmigen Gender-Studie.
Kreuz und queer durchs geliebte Nachbarland
Ein weiteres Highlight im Schweizer Wettbewerb ist die ebenso wortstarke wie intime Hochschul-Abschlussarbeit «Sarebbe Statu» von Ella Rocca. Die non-binäre Regieperson vergleicht sich darin mit einer unfertigen Wohnung, die sich direkt über derjenigen ihrer Grosseltern befindet. «Von aussen sehen wir fertig aus», sagt Ella und gibt damit dem eigenen Gefühl des Unvollendet-Seins Ausdruck. Was in der Frage gipfelt: «Was wäre gewesen, wenn ich in dieser leerstehenden Wohnung in Süditalien aufgewachsen wäre?»
Die Heldin von Cosima Freis Wettbewerbsbeitrag gibt sich derweil nicht mit dem Konjunktiv zufrieden. Mena (grossartig gespielt von der gebürtigen Winterthurerin Carol Schuler) will ihr Leben umkrempeln und schreitet zur Tat. Sie räumt ihre Berliner Wohnung, kündigt das Handyabo und schaut ein letztes Mal bei ihrem Schlagzeug spielenden Ex vorbei.
«There Is No End to This Story» besticht mit unverblümter Situationskomik und beschwingter Lakonie. Das schwarz-weisse Kleinod setzt mit einem souligen Ohrwurm den passenden Schlusspunkt hinter einen Schweizer Wettbewerb, der die gelebte Vielfalt unseres Landes wunderbar repräsentiert.