Mit hauseigenen Serien war das Schweizer Fernsehen noch wenig erfahren, als es im Januar 1984 sein neues Format «Motel» aus der Taufe hob. Das Projekt war ehrgeizig: Eine wöchentliche, beliebig fortsetzbare Serie aus dem Solothurner Niemandsland am Rand der Autobahn, bewusst angesiedelt in einer nasskalten Schweiz fernab touristischer Schauwerte.
Teil des Plans war es, ganz gewöhnliche Menschen zu zeigen. «Motel» wollte Probleme aufgreifen, die den realen Sorgen der Schweizer Bevölkerung entsprachen. Aus diesem Anspruch ergab sich ein Dilemma: Künstliche Aufregung war in «Motel» tabu, trotzdem musste das Publikum bei der Stange gehalten werden.
Aufregung – ja oder nein?
Das Dilemma zeigte sich schon in der ersten Folge: Koch Koni (Jörg Schneider) läuft mit Koffern beladen vom Egerkinger Bahnhof zum neuen Arbeitsplatz, stellt sich am Empfang vor und lernt seine Küchenmannschaft kennen. Ohne es böse zu meinen, spricht er einen türkischen Angestellten auf Italienisch an – wohl ein Reflex bei ihm, wenn er einen Gastarbeiter vermutet. So weit, so alltäglich, so 80er.
Es geht dann aber doch nicht ohne Spannungsmoment: Ein Telefongespräch suggeriert, dass Koni vor einem Schuldenberg geflohen ist. Ob in der nächsten Folge ein Kredithai mit einer gezückten Waffe auftaucht? Diskret hört man die Einladung: «Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein».
Inszenierte Entrüstung
Einer, der einschaltete, war Blick-Chefredaktor Peter Uebersax. Er und sein Team entdeckten die Lust daran, gegen den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk zu schiessen – «Motel» war dafür ein gefundenes Fressen. «Zu langweilig», lautete der Tenor. Und passierte einmal etwas Aufregendes – ein Kuss unter Männern, eine blanke Frauenbrust – dann sah der «Blick» darin Angriffe auf Sitte und Moral.
War das Schweizer TV-Publikum wirklich schockiert? Der «Blick» behauptete es selbstsicher, die Deutungshoheit der Stammtischmeinung für sich in Anspruch nehmend. Und das in einem Blatt, das damals selbst auf seiner dritten Seite barbusige Schönheiten bereithielt und einen unzweideutigen Annoncenteil publizierte.
Und alle schauten trotzdem
Doch letztlich diente die Polemik allen: Wer in der geselligen Runde über «Motel» ablästern wollte, musste die Serie gesehen haben. Und wer sie schaute, gewöhnte sich daran: Koni, Erika und Peperoni waren zwar nicht aufregend, aber sympathisch genug, um sie einmal pro Woche in die Stube zu lassen.
Heute stehen alle 40 Folgen von «Motel» auf Play SRF bereit. Losgelöst vom Zeitgeist erscheint beim Sichten so einiges, das man bei der Erstausstrahlung noch übersehen hat: die Wehmut und Melancholie der Figuren. Ihr leiser Humor. Und natürlich dieses vordigitale Leben, mit einem Tankwart an der Tankstelle und Zigaretten im Wohnzimmer.