Wir schreiben das Jahr 1968. Junge Filmemacher hängen sich an die roten Kino-Vorhänge. Um eine Vorführung während des Filmfestivals Cannes zu stoppen. In Paris toben gleichzeitig die Studentenunruhen. Tausende Menschen demonstrieren für bessere Studien- und Arbeitsbedingungen, für politische Veränderungen.
Währenddessen treffen sich die Schönen und Reichen in Cannes. Doch auch hier formiert sich Widerstand. Viele junge Filmemacher und schliesslich auch einige Jury-Mitglieder zeigen offen ihr Unbehagen. Sie fordern Solidarität mit den Studenten und Arbeitern. Das Festival wird abgebrochen.
180 Filmemacher lancierten danach eine grosse Konkurrenzveranstaltung: Die «Quinzaine des Réalisateurs». Eine nicht kompetitive Reihe, die vielen unbekannten Nachwuchsregisseuren eine Chance gibt. Heuer Jahr findet die Quinzaine zum 50. Mal statt. Edouard Waintrop ist seit 2011 verantwortlich für das Programm.
SRF: Die Studenten-Aufstände sind lange vorbei. Warum braucht es die Quinzaine noch heute?
Edouard Waintrop: Sie entstand tatsächlich in einem ganz anderen Kontext. Früher war das Festival von Cannes sehr eingeschränkt durch politische Vorgaben. Es gab keinen Platz im offiziellen Programm für Autorenfilme oder das Neue Kino. Durch die Quinzaine konnten auch diese Filme auf die Croisette kommen.
Wir versuchen, Filme zu finden, die sonst nicht in Cannes existieren würden.
Heute ist das Festival von Cannes viel offener für Autoren, sogar für das Independent-Kino. Aber es bleiben trotzdem einige Filmarten aussen vor, und für die sind wir da. Wir versuchen, Filme zu finden, die sonst nicht in Cannes existieren würden.
Sie sagen, das offizielle Festival wurde offener. Inwieweit ist das der Quinzaine zu verdanken?
Zu einem grossen Teil. 1977 wurde Gilles Jacob Präsident der Filmfestspiele von Cannes. In den Jahren davor hatte er als Filmkritiker alle Quinzaine-Filme gesehen. Das hat ihn sicher geprägt.
Die Leute, welche die Quinzaine ins Leben riefen, wollten das Kino verändern. Ist das heute nicht mehr nötig?
Auch heute sollte man das Kino verändern. Aber es gibt keine grossen Anstrengungen mehr wie Ende der 60er- oder Anfang der 70er-Jahre. Früher gab es eine internationale Bewegung. Sie hat damals auch nicht alles erreicht.
Man sollte vor allem günstigere Filme zeigen.
Aber während sieben oder acht Jahren hat das dem Kino wieder richtig Pfeffer gegeben. Für uns als Zuschauer war es eine Freude, eine Aufgabe und eine richtige Leidenschaft, diese Filme im Kino anzuschauen. Heute ist das deutlich zurückgegangen.
Was sollte sich denn verändern im Kino?
Man sollte vor allem günstigere Filme zeigen. Natürlich auch teure Filme, ich habe nichts gegen Blockbuster. Ich habe nur etwas gegen deren Omnipräsenz und Allmacht. Wenn man kleine Filme neben grossen zeigen könnte, würde das die Kinolandschaft schon ziemlich verändern.
Es war ein fantastisches Abenteuer.
Die Quinzaine feiert ihr 50-jähriges Bestehen. Was ist speziell dieses Jahr?
Das Programm ist nicht spezieller als sonst. Wir suchen jedes Jahr die Filme aus, die uns am meisten interessieren. Aber am Montag gibt es ein Fest, zu dem wir auch den Quinzaine-Gründer Pierre-Henri Deleau eingeladen haben. Bei der ersten Ausgabe des Festivals war er 26 Jahre jung. Heute ist er 49 Jahre älter. Er wird vorbeikommen und wir werden ihn richtig feiern.
Die 50. Quinzaine ist Ihre letzte. Mit welchem Gefühl hören Sie nach sieben Jahren auf?
Ich habe mich in all diesen Jahren sehr amüsiert. Es war ein fantastisches Abenteuer. Ich war von einem tollen Team umgeben. Im Moment denke ich noch nicht ans Aufhören. Ich denke jetzt erst mal an die Festival-Wochen.
Das Gespräch führte Britta Gfeller.