«Rache ist mein. Alle anderen zahlen bar!» Nicht nur der Titel des Films aus Indonesien erinnert an die Prügelkomödien mit Bud Spencer und Terrence Hill aus den 1970er-Jahren.
Der 43-jährige Regisseur aus Indonesien, der sich einfach Edwin nennt, erzählt von einer Frau und einem Mann, die sich als professionelle Schläger und Killer kennenlernen. Eine grossartige, quer durch einen Steinbruch hindurch choreografierte Prügelei der beiden führt zur grossen Liebe.
Spiel mit Stereotypen
Edwin inszeniert Action-Szenen mit Motorrädern, Massenschlägereien, bösen Gangstern und gar einem unruhigen Geist aus der Vergangenheit des Mannes. Der Film, der im indonesischen Original «Seperti Dendam, Rindu Harus Dibayar Tuntas» heisst, nutzt die Stereotype des Genrekinos unterhaltsam und stellt sie zugleich in Frage.
Beide Hauptfiguren kämpfen gegen ein kindliches Missbrauchstrauma, der Mann ist impotent, die Frau eine tödliche Kampfmaschine, die von einer ganz normalen Ehe träumt.
Edwin unterwandert mit den Mitteln des Unterhaltungskinos überkommene Geschlechterbilder und vermittelt gleichzeitig völlig unaufdringlich ein ethnografisches und folkloristisches Panorama seines Heimatlandes.
Eine unterhaltsame Festivalausgabe
Damit steht Edwins Goldener Leopard auch als Anerkennung für die Filmauswahl von Giona A. Nazzaro, dem neuen künstlerischen Leiter von Locarno. In seinem Programm greift er immer wieder auf die grosse Zeit des Action-Kinos der 1980er-Jahre zurück.
Mit Reprisen von Filmen wie «The Terminator» oder «Heat» auf der Piazza Grande und mit einer überraschend publikumsfreundlichen Auswahl von Filmen im Wettbewerb versucht Nazzaro, vom Ruf des Festivals als kompromisslose Hardcore-Kunstfilm-Brutstätte wegzukommen.
Regiepreis für einen ungeniessbaren Film
Gleichzeitig hat sich die Jury entschlossen, den Regiepreis an den siebzigjährigen New Yorker Schockfilm-Veteranen Abel Ferrara zu vergeben, für dessen absolut ungeniessbaren Terror-Film «Zeros and Ones» .
Die dunklen, mit bedeutungsschwangerem Sound unterlegen Szenen dieses in Rom unter Pandemiebedingungen gedrehten Filmes stehen – vielleicht – für einen Glaubensverlust. US-Schauspieler Ethan Hawke spielt in einer Doppelrolle einen Soldaten und dessen revolutionären Bruder im Gefängnis. Es geht um den vergeblichen Versuch, die terroristische Sprengung des Vatikans zu verhindern.
Da auch Ferrara hier mit Kinoklischees und Genrekonventionen arbeitet, könnte man diesen Film als den verzweifelten, dunklen Spiegel des indonesischen Gewinnerfilms interpretieren.
Zurück zur Normalität
Alles in allem war die vorsichtige Rückkehr zur Festivalnormalität unter gelockerten Pandemiebedingungen recht erfolgreich: Locarno konnte aufgrund der Schutzbedingungen etwa halb so viele Kinoplätze anbieten wie in normalen Jahren, und die waren meist gut besetzt.
Ob Giona A. Nazzaros publikumsfreundliche Programmierung ein Antrittspräsent war, der Beginn einer leicht angepassten neuen Strategie oder doch einfach dem gleichzeitig aufgestauten und eingeschränkten pandemischen globalen Filmangebot geschuldet ist, wird seine nächste Auswahl zeigen. Es wird die 75. Ausgabe des altehrwürdigen Filmfestivals von Locarno.