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Alptraum Traumfabrik Frauenalltag in Hollywoods Herrenwelt

Genug geschwiegen: Im Dokumentarfilm «Half the Picture» erzählen Frauen von Chauvinismus und Schikane in Hollywood – ungeschminkt.

«Congratulations to these men», sagt Issa Rae. Die schwarze Schauspielerin hat soeben die Namen der Regisseure vorgelesen, die für einen Oscar in der Kategorie «Beste Regie» nominiert sind.

Ein sarkastischer Satz. Vier Jahre nach #OscarsSoWhite scheint alles wieder so, wie es immer war. Diversität? Denkste. Frauen? Vergesst es.

Die grosse Ausnahme

Auch am Sonntag werden wieder Männer die wichtigen Oscars gewinnen. Ältere weisse Männer: Quentin Tarantino, Sam Mendes, Martin Scorsese.

Zur Erinnerung: Erst fünfmal in der 92-jährigen Oscar-Geschichte war eine Frau in der Königsklasse «Beste Regie» nominiert. Und nur Kathryn Bigelow bekam die Auszeichnung – 2010 für «The Hurt Locker».

Bigelow ist nicht die Kronzeugin der Anklage in «Half the Picture». Amy Adrions Dokumentarfilm von 2018 geht in Produktion, als #MeToo noch zwei Jahre weg ist. Aber die amerikanische Gleichstellungsbehörde beginnt schon damals für die Frage zu brennen: Warum hat Hollywood ein Frauenproblem, und wie genau sieht es aus?

Eine Gruppe von Frauen, lachend auf einem Sofa.
Legende: Frauen unter sich: «Half the Picture»-Regisseurin Amy Adrion (3. von rechts) auf dem Set. Evan Menak

Nackte Brüste, bitte

Amy Adrion tut nur das Eine, aber das konsequent: Sie lässt Frauen erzählen. Über Machos und Macht. Über Wut und Widerstand.

«Du machst uns diesen Film», erinnert sich Martha Coolridge an die frühen 1980er-Jahre. Aber die Ansage des Studios an die aufstrebende Regisseurin war: «Wir wollen in vier Szenen nackte Brüste sehen.»

Coolridge gab zurück: «Ihr glaubt, ich kriege das nicht glaubhaft gebacken?» Die Teenie-Klamotte «Valley Girls» zu drehen: Das war die Chance, die sie nutzen musste.

Unhehre Männerwelt

«Du willst morgen wieder Regie führen», muss sich Penelope Spheeris sagen lassen, die 1992 mit «Wayne’s World» den Durchbruch schaffte. Und schon will der Typ ihr an die Wäsche, die ein Sommerkleid ist.

Sexistische Sprüche, geifernde Guys, Übergriffe: Für viele Frauen ist das Alltag in der Herrenwelt Hollywoods – bis heute. Nur richtig also, haben Männer in «Half the Picture» kein Wörtchen mitzureden.

Auch hinter der Kamera haben die Männer nichts verloren, wie der eine oder andere Gegenschnitt zu viel verrät. Es soll bloss jeder merken: Hier werden die Verhältnisse für einmal umgedreht.

Eine Frau zwischen zwei Büchergestellen.
Legende: Zum Beispiel Miranda July: Eine von vielen Frauen, die vor laufender Kamera Klartext reden. amyadrion.com

Kein Mann, nirgends

Von Lena Dunham («Girls») über Miranda July («The Future») bis zu Ava DuVernay («Selma»): Über 30 führende Frauen aus der Filmbranche hat Amy Adrion für «Half the Picture» zum Reden gebracht.

Unter ihnen sind zahlreiche nicht-weisse Nicht-Amerikanerinnen, die es in Hollywood traditionell besonders schwer haben. «Würde ich auf die Statistik schauen, sässe ich nicht hier», sagt Regisseurin Patricia Cardoso, die kolumbianische Wurzeln hat.

Gut 18 Prozent der Frauen in USA gehören einer Minderheit an. In der Filmindustrie beträgt ihr Anteil verschwindend kleine 0.006 Prozent.

Die Sprache der Zahlen

Womit wir bei den Zahlen wären. Amy Adrion lässt sie in Kuchendiagrammen einblenden, was sie nicht geniessbarer macht. Auch diese: An amerikanischen Filmhochschulen ist die Hälfte der Studierenden weiblich. Nur bei 4 der 100 erfolgreichsten Hollywood-Filme aber sass eine Frau auf dem Regiestuhl.

Eine Frau salutiert vor einem Filmplakat.
Legende: Eine Frau, die schon oft ihren Mann stand: «Twilight»-Regisseurin Catherine Hardwicke. Keystone

«Ich dachte dauernd, ich arbeite zu wenig hart», sagt Regisseurin und Drehbuchautorin Catherine Hardwicke, die mit «Twilight» so ziemlich alle Blockbuster-Rekorde gebrochen hat.

Noch immer traut Mann es in Hollywood einer Frau nicht zu. Bis heute, so der Grundtenor dieser Frauen, versteht er das Filmset als Schlachtfeld, für das die Frau nicht gut genug gerüstet scheint. Wenn man eine Frau einstellt, dann mit dem Nebensatz: Wir müssen halt Frauen einstellen.

Die gute Nachricht: Wenn man diese Frauen so reden hört, ihr amerikanisches Just-Do-It-Pathos, ihre Passioniertheit und Professionalität, dann beschleicht einen ein nicht ungutes Gefühl. Sie sind zwar höchstens auf halbem Weg, aber ein Happy End müsste möglich sein. Nicht in der kommenden Oscar-Nacht – aber vielleicht 2021?

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