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Filmkritik: «Iraner»
Aus Kultur Extras vom 26.11.2014.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 53 Sekunden.
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Film & Serien Atheist sucht Mullahs als Mitbewohner

Der iranisch-französische Regisseur Mehran Tamadon glaubt nicht an Gott, sondern an Toleranz. Für die Doku «Iraner» ist er in seine alte Heimat gereist, um die eigenen vier Wände mit vier religiösen Landsleuten zu teilen. Obwohl nur zu Gast: Das Sagen in dieser Wohngemeinschaft hatten die Mullahs.

«Ich bin ein Iraner, der in Frankreich lebt. Mein Denken unterscheidet sich von Ihrem. Ich habe bereits zwei Filme über den Iran gedreht. Nun starte ich ein neues Projekt. Ich möchte herausfinden, wie gut Menschen mit stark unterschiedlichem Glauben einen gemeinsamen Raum teilen können. Was Sie sagen, wird mit Respekt behandelt werden. Sehen Sie sich meine anderen Filme an, um sich selbst ein Bild zu machen.»

Die nüchternen Worte, die Regisseur Mehran Tamadon bei der Suche nach Mitbewohnern wählte, zeugen von der Brisanz des Projekts. Bloss keine Polemik! Im Iran religiöse Hardliner für einen Dokfilm zu gewinnen, ist sogar mit sanfter Vorgehensweise praktisch unmöglich. Tamadon musste drei Jahre lang Überzeugungsarbeit leisten, bis alle Zimmer in seiner experimentellen Wohngemeinschaft belegt waren.

Wer ist hier der Diktator?

Der Regisseur

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Mehran Tamadon emigrierte mit seinen kommunistischen Eltern bereits als Zwölfjähriger aus dem Iran. Bevor er das Filmemachen für sich entdeckte, studierte er in Paris Architektur. «Iraner» ist schon seine dritte Dokumentation über den Gottesstaat.

«Eine ideale Gesellschaft sollte Staat und Religion trennen, also säkular sein», erklärt Tamadon seinen Mitbewohnern gleich zu Beginn. Ob man religiös ist oder nicht, dürfe im öffentlichen Raum keine Rolle spielen. Er sei beispielsweise nicht gläubig, respektiere aber Leute, die an Gott glauben. Mullah Ali widerspricht dem sofort: «Du bist ist sehr wohl gläubig, Herr Säkular. Nur heisst dein Glaube Säkularismus. Und diesen willst du diktatorisch durchsetzen.»

Tamadon ist zunächst sprachlos, kichert bloss ungläubig vor sich hin. «Ich soll der Diktator sein?» fragt er kleinlaut. Dass Tamadon solche Szenen zeigt, gehört zu den Stärken des Films. Der Regisseur inszeniert sich nicht als heroischer Aufklärer, der mit vier Mullahs in den Ring steigt, um diese eines Besseren zu belehren. Er präsentiert sich als netter Gastgeber, dem angesichts gewitzter Rhetorik oft die Worte fehlen.

Frauenstimmen unerwünscht

Tamadons Zurückhaltung ist aber nicht nur die Stärke, sondern zugleich auch die Schwäche. Der atheistische Regisseur konnte bloss den Rahmen des Projekts definieren. Die WG-Spielregeln bestimmen dagegen die Fundamentalisten. Die Frauen der Mullahs, die ebenfalls in Tamadons Landhaus eingeladen wurden, bleiben den Debatten fern. Der Regisseur versucht erst gar nicht, daran etwas zu ändern. Wohl weil er weiss, dass die strikte Geschlechtertrennung für seine Gäste unantastbar ist.

Vier Männer sitzen auf einem Teppich, drei tragen Turbane, einer gestikuliert.
Legende: Kein einfaches Expirement - ein Ungläubiger und vier Mullahs leben unter einem Dach. L’Atelier Documentaire

Stattdessen versucht sich Tamadon mit einer Politik der kleinen Schritte. Er schlägt vor, dass Frauen zumindest akustisch das Wohnzimmer beleben sollen: Durch Musik, in denen Frauenstimmen zu hören sind. Doch auch dieser Vorschlag findet bei den Mullahs kein Gehör. Weiblicher Gesang könne falsche Gefühle wecken, sogar Männer mit zu hoher Stimme sind tabu. Die Initiative des Gastgebers wird abgeschmettert. Ganz demokratisch. Mit vier zu eins Stimmen.

Rückkehr ausgeschlossen

Der iranischen Regierung war Tamadons Filmprojekt von Beginn weg ein Dorn im Auge. Den französischen Pass des Doppelbürgers konfiszierte das Informationsministerium darum bereits bei dessen Ankunft im Februar 2011. Der zweite Pass wurde Tamadon am Flughafen abgenommen, bevor er die Heimreise nach Frankreich antreten konnte. Einen Monat liess man ihn zappeln, bevor er seine Dokumente zurückerhielt. Zusammen mit der «dringenden Empfehlung» nie mehr in den Iran zu reisen. Tut er es doch, werde ihm der Pass endgültig abgenommen, die Heimkehr für immer verweigert.

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