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Film & Serien «Before Midnight» – eine Liebesgeschichte jenseits von Klischees

Vor 18 Jahren waren Ethan Hawke und Julie Delpy erstmals in «Before Sunrise» ein Liebespaar, «Before Midnight» schliesst nun die Trilogie ab. Der dritte Film zeigt ein immer noch gesprächiges Paar, das die romantischen Anfänge herbeisehnt: Denn der Zahn der Zeit hat auch an dieser Liebe genagt.

Wer nach den «romantischsten Filmen aller Zeiten» googelt, der findet neben bekannten Mega-Schmalzern wie «Titanic» und «Vom Winde verweht» auf praktisch jeder Liste auch den Film «Before Sunrise» von 1995. Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens, weil «Before Sunrise» eine kleine Arthouse-Produktion ist, die mit einem bescheidenen Budget von zweieinhalb Millionen Dollar realisiert wurde. Zweitens, weil der Film mit untypisch wenig Liebespathos und Herzschmerz auskommt. Da sind nur zwei junge Menschen, der Amerikaner Jesse und die Französin Celine, die sich in einem Zug kennenlernen und beschliessen, eine Nacht lang zusammen Wien zu erkunden.

Zwei Menschen, die sich nicht kennen und doch über alles miteinander reden möchten. Näher kommen und Verlieben vollzieht sich hier in kleinen Gesten und langen Gesprächen. Die Romantik liegt im Zauber der zufälligen Begegnung.

Die 18jährige «Before»-Trilogie

Jesse und Celine reden ununterbrochen und über wirklich alles – zum ersten Mal vor 18 Jahren: eine Langzeitstudie über die Liebe, wie wir sie im Kino noch nie gesehen haben. «Before Sunrise» war 1995 der Auftakt zu einer Trilogie, die erst 2004 mit «Before Sunset» fortgesetzt wurde. Teil zwei offenbarte, dass sich Jesse und Celine seit neun Jahren nicht mehr gesehen hatten. Doch eine Stunde zusammen in Paris, ein langer Dialog, und beide merken, dass ihre magische Nacht sie immer noch verbindet. Ob sie zusammenbleiben, oder ob Jesse zu Frau und Kind zurückfliegt, liess das Ende des zweiten Films offen.

«Before Midnight», der Abschluss der Trilogie, liefert jetzt endlich die Antwort: Ja, Jesse und Celine sind zusammengeblieben. Dass wieder exakt neun Jahre zwischen den Filmen und innerhalb der Handlung vergangen sind, ist ein schöner Zufall. Aber schon von Anfang an wird deutlich: Die Betörung von damals ist einer gewissen Alltagsmüdigkeit gewichen. «Before Sunrise» und «Before Sunset» handelten noch von der Möglichkeit der Liebe, von ihrem reizvollen Versprechen von Freiheit und Seelenverwandtschaft. «Before Midnight» aber handelt von der Realität der Liebe. Und die sieht für Celine und Jesse so aus: Wo sollen wir wohnen? Sind wir gute Eltern? Verliere ich meinen Job, wenn wir umziehen?

Ein Paar sitzt an Bistrotisch am Meer
Legende: In Griechenland streiten die beiden – genauso wortgewandt, wie sie zuvor über die Liebe diskutiert haben. outnow.ch

Kino der Dialoge

Die Gesprächsthemen sind mit den Filmfiguren erwachsener geworden, die Gesprächsart aber ist gleich geblieben: ein ununterbrochener Strom. Celine und Jesse diskutieren – das wäre auch für «Before Midnight» die passende Inhaltsbeschreibung. Oft gibt es minutenlang keinen einzigen Schnitt. Was anti-filmisch wirkt, ist die Stärke des Films. Die langen, offenherzigen Diskussionen klingen oft, als würden die Hauptdarsteller Julie Delpy und Ethan Hawke einfach aus ihrem echten Leben erzählen. Wenn sie über zehn Minuten reden, ohne dass geschnitten wird, wächst der Verdacht, dass die beiden viel improvisieren. In Wirklichkeit aber steht jedes Wort genau so im Drehbuch (das Delpy und Hawke mitgeschrieben haben). Umso beeindruckender, wie authentisch ihre langen Gespräche wirken.

Glaubwürdiges Paar jenseits der Klischees

Audio
Filmkritik von Michael Sennhauser
aus Kultur kompakt vom 06.06.2013.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 19 Sekunden.

«Before Midnight» funktioniert auch für Zuschauer, die die anderen Teile nicht kennen. Der Film bietet immer wieder Anknüpfungspunkte, wenn Celine und Jesses Vorgeschichte kurz aufgerollt wird. Vor allem aber zeigt er uns ein glaubwürdiges Paar jenseits von Klischees. Und eine Beziehung, die am Alltagsfrust zu scheitern droht: Der Zahn der Zeit hat auch an dieser Liebe genagt. Mitten in der griechischen Idylle, wo Celine und Jesse einen letzten Ferientag miteinander verbringen, braut sich tragisches Potential zusammen. Genauso wortgewandt und treffsicher wie Celine und Jesse über Philosophie und Liebe diskutieren können, streiten sie auch, wie die letzte halbe Stunde des Films spektakulär demonstriert.

Liebe kann nicht ewig unbekümmerte Romantik sein, sagt «Before Midnight». Und denkt die Trilogie so mit beeindruckender Konsequenz zu Ende.

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