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Ein junger Mann steht angelehnt an ein gelbes Auto, ein kleines Mädchen sitzt neben ihm am Boden.
Legende: Das Leben von Heli und seiner kleinen Schwester ist geprägt von Gewalt. zvg

Cannes 2013 Die alltägliche Drogengewalt in Mexiko

Amat Escalante ist ein junger mexikanischer Filmemacher. Sein Auftritt in Cannes mit dem Film «Heli» deutet an, dass man noch mehr von ihm sehen wird. Der Film schildert drastisch, wie der Drogenhandel in Mexiko den Alltag der Menschen wortwörtlich in der Gewalt hat.

Es kommt selten vor, dass das abgebrühte professionelle Medienpublikum im Wettbewerb von Cannes erschreckt aufstöhnt im Kino. Und bei diesem mexikanischen Drama passiert das zwar im richtigen Moment, aber aus dem falschen, oder zumindest dem weniger angemessenen Anlass.

Als nämlich ein maskierter bewaffneter Polizist einer Spezialeinheit der zwölfjährigen Estela ihren weissen Hundewelpen aus der Hand nimmt und ihm den Hals umdreht. Zuvor haben die Polizisten schon Estelas Vater erschossen – auf der Suche nach zwei Paketen Kokain.

 

Ein mexikanischer Film

Heli ist der ältere Bruder von Estela und er trägt indirekt die Schuld. Denn er hat das im Wassertank auf dem Dach versteckte Kokain gefunden und in einem Wasserloch versenkt. Deponiert hat es der Freund der Zwölfjährigen, ein nicht viel älterer Polizeikadett.

Amat Escalantes «Heli» ist ein mexikanischer Film, eine Geschichte rund um die unglaubliche Gewalt in dem Land. Und ein Film, der deutliche Spuren des Einflusses von Carlos Reygadas aufweist.

 

Dass Heli kein Dokumentarfilm ist, macht der Anfang deutlich. Die Kamera blickt mitleidlos auf zwei gefesselte, geknebelte junge Männer auf der Ladebrücke eines fahrenden Pickups. Nach kurzer Fahrt werden die beiden Körper die Treppe eines Fussgängerübergangs hoch geschleppt und einen Moment später hängt der eine von ihnen tot über der Fahrbahn.

 

Krieg gegen Drogen

Mit dem nächsten Schnitt sind wir, ohne es zu wissen, in der Vorgeschichte gelandet, bei Heli, seiner jungen Frau und seinem Kind, dem Vater und der Schwester Estela. Sie lernt fleissig für die Schule und ist nicht ganz sicher, ob sie nun wirklich verliebt ist in den jungen Polizeiaspiranten, der mit ihr herum macht.

 

Der Film zeigt, stets mit diesem seltsam involvierten, ebenso persönlichen wie abstrakten Kamerablick, einen mexikanischen Alltag. Heli und sein Vater arbeiten abwechselnd Schicht im lokalen Automontagewerk; wir wohnen der richtiggehenden Abrichtung der jungen Polizeischüler bei, die von einem wahrscheinlich amerikanischen Drillspezialisten in einer Art Entwicklungshilfe-Mission überwacht wird – es geht da wohl um den «Krieg gegen die Drogen».

 

Die Gewalt ist entsetzlich spürbar

Jedenfalls werden später öffentlich ein paar Tonnen Kokain verbrannt, und so wie es aussieht, haben sich die detachierten Polizisten einen Teil davon zur Seite gelegt – eben jene zwei Pakete, mit denen sich Estelas Freund den Traum von der Hochzeit mit der Zwölfjährigen ermöglichen wollte.

 

Der unausweichliche Ausbruch der Gewalt kommt überraschend und entwickelt sich härter und widerlicher, als es das Publikum erwarten würde. Man bekommt den Eindruck, Filmemacher Escalante sei wirklich daran gelegen, die Gewalt entsetzlich spürbar zu machen. Es gelingt ihm.

 

Der Film lässt einen erschüttert und mehrfach ratlos zurück. Da ist einerseits der spürbare Gestaltungswille, die ausgeklügelte, irritierende Kameraführung, die stets mittendrin oder knapp im Hintergrund verharrt und sogar von Schnitt zu Schnitt die subjektive Distanz zu den Figuren verändern kann.

Kino - jenseits der Tradition

Und andererseits eine ganze Reihe von irritierend skurrilen Momenten, die sich weder im erzählerischen Zusammenhang noch aufgrund externer Überlegungen erschliessen, Figuren und Sätze, welche den Beginn einer ganz anderen Geschichte markieren könnten, aber nicht weiter verfolgt werden.

 

Der Film wird wegen einer besonders drastischen Folterszene (die auch wieder Ausbildungscharakter und Abrichtungsstrategien demonstriert) für etliche aufgeregte Diskussionen und allenfalls zynische Witzchen sorgen. Aber Amat Escalante ist ein Name, den man sich merken sollte, der Film ein weiteres Beispiel für ein mexikanisches Kino, das sich jenseits aller Traditionen und kommerziellen Möglichkeiten extrem eigenständig und sehr konsequent zu entwickeln scheint.

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