Dass ein Film wie «Grigris» überhaupt noch entstehen kann, sollte eigentlich ein Grund für Freude sein. Tatsächlich aber packt mich immer häufiger die Trauer, wenn wieder so ein braver Zombie an einem Festival auftaucht. Vor 25 Jahren entstanden sie, in vielen afrikanischen Ländern, meist mit Hilfe Frankreichs, was Produktion und Distribution und vor allem das Publikum anging. Es war eine Zeit des Aufbruchs – und sie hat nirgendwo hin geführt.
Das «afrikanische» Kino, oder was wir einmal dafür gehalten haben, brachte bewegende und teilweise grossartige Filme hervor. Filme, welche in Europa Aufmerksamkeit erregten, und ihren Autoren eine Basis für mehr oder weniger kontinuierliche Arbeit boten. Sie brachten ihnen einen Ruf in der Heimat ein, von dem sie zehren und auf den sie aufbauen konnten. Gleichzeitig war das zumindest zum Teil eine ungewollte Weiterführung der Kolonialisierung Afrikas durch den europäischen Kulturbetrieb.
Das Weltkino geht verloren
Aber das ist vorbei. Unterdessen gibt es auf dem afrikanischen Kontinent eine ganze Reihe kommerzieller Makro-Filmindustrien, digital aufgerüstete Manufakturen, in Nigeria oder Kenia. Produziert wird, was ankommt. Das sind häufig billig gemachte Genre-Filme. Gangster- oder Science-Fiction-Geschichten mit lokalem Einschlag, mit einem Vertrieb, der mehr auf DVD und Datenträger setzt als auf traditionelle Kinobetriebe.
Das hat natürlich nichts mehr mit den cinephilen Werten des Weltkinos zu tun, auch wenn diese Produktionen möglicherweise ein aktuelleres Afrika-Bild vermitteln, als alles, was einst so folkloristisch-authentisch daher kam: Es wäre ein indirektes Bild afrikanischer Gesellschaften, eines, das sich erst aus den Rückschlüssen zu Vorlieben und Themen erschliessen würde.
Aber Cannes feiert die Filmkunst und einer der letzten, die noch versuchen, dieses Rösschen afrikanisch-französisch aufzuzäumen, ist Mahamat-Saleh Haroun. Vor drei Jahren war er hier in Cannes mit «Un homme qui cri», jetzt ist es Grigris.
Ein wilder Reisser mit Ethno-Anhängsel
Grigris hat eine Genesis, die an unsere Schweizer Fernsehfilme erinnert. Der Grundidee, eine Art Gangsterfilm über das gefährliche Metier der Benzinschmuggler von N'Djamena zu machen, wird ein Hauptdarsteller aufgepfropft, der aus einem ganz eigenen Grund Schauwerte verspricht: Souleyman Démé ist ein begabter Tänzer mit einem verkrüppelten Bein.
Im Film wird er zu Grigris, dem Tony Manero der lokalen Tanzbars, inklusive todkrankem Stiefvater. Fehlt noch eine Liebesgeschichte. Die kommt in Gestalt der schönen Prostituierten Mimi, mit der er schliesslich aus der Stadt fliehen muss, nachdem er seinen Gangster-Mentor um eine Ladung Benzin geprellt hat, um die Spitalrechnung des kranken Stiefvaters bezahlen zu können.
Die Plot-Konstruktion alleine wäre gut genug für einen jener billig und schnell gedrehten Reisser, mit denen die tatsächliche pan-afrikanische Filmindustrie überleben kann. Aber sie ist natürlich längst nicht gut genug für einen Weltkinofilm. Darum bekommt die wilde Geschichte noch eine Coda angehängt, ein idyllisches Rundhüttendorf voller aufgeschlossener Frauen, welche das junge Paar aufnehmen und gemeinsam gegen die Gangster verteidigen.
Die kulturelle Entfremdung von Afrika
«Grigris» ist alles und nichts, ein braver, altmodischer Film, mit zwei physisch durchaus sehenswerten Laien als Hauptdarstellern und ein paar routinierten Profis, welche sie an die Wand spielen. Der Plot berührt zeitgenössische Themen und ist wohl durchaus lokal verankert. Aber es sind nur die Mobiltelefone und Grisgris Hinweis an seinen Mentor, dass die klassische Fotografie kein Business mehr sei, seit alle digital selber knipsen, welche sichtbar machen, dass der Film nicht schon vor 20 Jahren entstanden ist.
So bleibt «Grigris» die etwas zweifelhafte Ehre, der erste afrikanische Film zu sein, der allen Ernstes eine rurale feministische Dorf-Utopie einer Stadtflucht gegenüber stellt. Und nicht einmal da bin ich sicher, ob mir die spezialisierten Kollegen nicht schon ein oder zwei Beispiele aus den 80er Jahren nennen könnten.
Dass «Grigris» im Wettbewerb von Cannes auftaucht, zeigt vor allem das Dilemma des Festivals. Man kann nicht einen ganzen Kontinent ignorieren. Aber um das zu zeigen, was in diesem Kontinent tatsächlich entsteht und gesehen wird, bräuchte man ein anderes Publikum. Die kulturelle Entfremdung Afrikas von Europa ist im Gange.