Llewyn Davis ist nicht Bob Dylan. Er hat weniger Talent, weniger Glück, vor allem aber weniger Charisma. Man könnte sogar sagen, er hat gar keines. Llewyn sei ein Arschloch, sagt die von Carey Mulligan gespielte Jean Berkey, die von ihm schwanger ist. Der neue Film der Coen-Brüder folgt einem Singer/Songwriter/Folksänger im Jahr 1961 auf seiner Odyssee von Couch zu Couch in New York, einem Abstecher nach Chicago und einer nächtlichen Kurve über Akron.
John Goodman als diabolischer Gegenpart
«Inside Llewyn Davis» heisst die Soloplatte, welche er nach dem Selbstmord seines Gesangspartners aufgenommen hat. Aber die hat auch keiner gekauft, das Publikum steht auf Pop-Folk, auf Peter, Paul and Mary, und Bob Dylan wird erst in ein paar Monaten in die Stadt kommen. Film-ethnographisch gesehen ist Llewyn Davis ein Nachkomme von Barton Fink.
Wie der damals von John Turturro verkörperte glücklose Autor, der sich in Hollywood verliert, ist auch dieser Llewyn nicht fähig, das zu liefern, was die Kunden wünschen. Und wie Barton Fink hat auch er seine eigenen Vorstellungen von der Kunst, die er produzieren möchte. Und wie in Barton Fink spielt auch in «Inside Llewyn Davis» der stets hinreissende John Goodman einen diabolischen Gegenpart zur Titelfigur.
Eine Katze namens Ulysse
Aber geprägt ist der Film nicht nur vom typischen Coen-Touch auf Messers Schneide zwischen komisch und tragisch, grossartig und zynisch, sondern vor allem vom Interesse der Brüder an der frühen Folk-Szene, die sie schon mit «O Brother, Where Art Thou?» so überzeugend wie vergnüglich auf die Leinwand gebracht hatten.
Und während sie sich damals vor 13 Jahren deklariertermassen auf Homer und seine Odysse bezogen, haben sie dieses Mal undeklariert einen guten Teil der Inspiration aus den Memoiren des Folk-Pioniers Dave Van Ronk, «The Mayor of MacDougal Street», bezogen. Die homerische Struktur haben sie allerdings beibehalten, wenn auch eher im Sinne von James Joyces «Ulysses». Und dem wiederum erweisen sie ihre typische Referenz, indem sie einer Katze, die sich alleine von der einen Ecke New Yorks in die andere durchschlägt, den Namen Ulysse geben.
Ach ja, die Katze. Sie ist ganz wörtlich einer der Running Gags in dieser Tragikomödie. Der glücklose Llewyn lässt sie erst aus dem Apartment von Freunden entwischen, fängt sie ein, schleppt sie via U-Bahn ins Village zu Freunden und verliert sie dort auch wieder. Das Biest entwischt ihm wie der Erfolg, den er sucht.
Nahe an der Perfektion vorbei geschrammt
Die Geschichte des Llewyn wird in einer Art Alptraum-Schleife erzählt, mit grossartigen Bildern und noch perfekter produzierten Musiktracks. Und gerade bei diesen Szenen zeigt sich der spezielle Coen-Touch am stärksten: Während Llewyn vor allem Spott und Wut übrig hat für die schönen Harmonien und geleckten Arrangements seiner erfolgreicheren Konkurrenten, bringt uns die Inszenierung des Films die ganze emotionale Wucht des kitschigsten Vokal-Trios oder pseudo-irischen Quartetts ungeschminkt und ungebremst näher. Das bedeutet mehr als einmal, dass die Verachtung Llewyns für diese Musik auch uns trifft – und damit wächst uns die Figur natürlich nicht näher ans Herz.
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«Inside Llewyn Davis» ist, wie ein amerikanischer Kollege geschrieben hat, der beste Coen-Film seit dem letzten Coen-Film. Und während das für sich genommen natürlich noch nicht einmal ein relatives Qualitätslabel sein kann, behaupte ich nun einen halben Tag nach dem Screening, dass dieser Film handwerklich und erzählerisch nahe an der Perfektion vorbeischrammt.
Die Gebrüder Coen im Selbstporträt?
Das ist aber auch sein Problem, so er denn eines hat: Die Coens spielen hier mit den Muskeln, sie behalten ihren Cake und essen ihn doch, sie spotten und bewundern, und dahinter schwebt eine leise Ahnung davon, dass ihnen das Publikum nicht wirklich am Herzen liegt. Sie verstehen es längst, uns zu bedienen und tun das virtuos – aber wer das allzu bereitwillig schluckt, riskiert ihren Spott.
Es ist eine gewagte These und sie kommt direkt aus dem Bauch: Mit Llewyn Davis haben die Brüder eine Art Selbstporträt gezeichnet, ein Künstlerbild, dem die heimliche Angst innewohnt, vielleicht doch nicht so gut zu sein, wie es die eigenen Ansprüche erfordern. Aber bei genauer Betrachtung war das schon bei früheren Filmen so. Ganz sicher bei Barton Fink. Und der ist schon über 20 Jahre her.