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Cannes 2013 Asghar Farhadis neues Familiendrama überzeugt in Cannes

Vor zwei Jahren gewann Asghar Farhadi mit seinem Film «A Separation» in Berlin den Goldenen Bären und einen Oscar. Jetzt ist er im Wettbewerb von Cannes mit «Le passé». Ein Drama, in dem es um Trennung, Täuschung und falsche Hoffnungen in einer Familie geht. Durchaus ein Anwärter auf die Palme.

Wenn der Titel «A Separation» nicht schon besetzt wäre, hätte er auch für diesen Film von Asghar Farhadi perfekt gepasst. Marie (Bérénice Bejo) holt Ahmad (Ali Mosaffa) in Paris am Flughafen ab. Aus ihrem Dialog reimt man sich nach und nach zusammen, dass die beiden verheiratet sind, seit vier Jahren getrennt, und dass er auf ihren Wunsch aus dem Iran zurückgekommen ist, für die Scheidung.

 

Cannes: Frisch ab Leinwand

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SRF-Filmkritiker Michael Sennhauser schaut sich in Cannes dutzende Filme an und schreibt über seine ersten unmittelbaren Eindrücke.

Mehr Filmbesprechungen unter sennhausersfilmblog.ch.

Marie möchte Samir heiraten, ihre Tochter ist dagegen, Samirs Frau liegt im Koma im Spital und Ahmad steht plötzlich mitten drin. Aber, wie zu erwarten bei Farhadi, erschliesst sich das alles Schritt für Schritt aus absolut natürlichen Dialogen heraus. Erzählt wird einmal mehr eine unmittelbare Familiengeschichte, ein Drama um Trennung und Täuschung und falsche Vorstellungen.

 

Zweieinhalb Stunden lang fällt kein falscher Satz, gibt es keinen Blick, der nicht vom Regisseur geprägt und inszeniert ist. Die Darsteller gehen unter Farhadis Anleitung einmal mehr völlig auf in den Rollen, und die Geschichte könnte überall spielen, in jeder Familie, überall, wo Menschen mit ihren eigenen Unsicherheiten fertig werden müssen und mit denen ihrer Nächsten.

 

Universelle Geschichte

War man bei «A Separation» und «About Elly» noch versucht, die spezielle Situation im Iran in jede Interpretation mit einzubeziehen, gibt es dafür diesmal keinen Anlass. Fahrhadi hat mit einem französischen Produzenten in Frankreich einen Film gedreht, den er nach eigener Aussage auch wo anders hätte machen können.

 

Das erinnert an Abbas Kiarostami, der seine letzten Geschichten in Italien und Japan angesiedelt hat. Aber anders als Kiarostami, der sehr wohl seine Geschichten aus der jeweiligen Umgebung heraus entwickelt hat, bleibt Farhadi wirklich universell – auch wenn der ganze Film in Paris spielt und französisch gesprochen wird.

 

Farhadi selber ist allerdings überzeugt, dass er das Drehbuch ganz anders geschrieben hätte, wenn die Geschichte im Iran angesiedelt wäre. In seinen Filmen drückten sich die Figuren normalerweise eher indirekt aus, kulturell bedingt. In Frankreich seien die Menschen direkter, womit eine der unerschöpflichen Quellen für Farhadis Drehbücher etwas weniger heftig sprudelt.

 

Sie reden - aber aneinander vorbei

Das merkt man deutlich. Als Mutter bemüht sich Marie, mit ihrer Tochter direkt zu sprechen und schon beim ersten, offensichtlich eingespielten Disput im Auto zwischen ihr und ihrem iranischen Ex-Mann zeigt sich der Unterschied in der Kommunikation. Sie geht davon aus, dass die Dinge gesagt sind oder geschrieben, zum Beispiel per Email der Hinweis an Ahmad, dass sie mit einem neuen Mann zusammen lebe.

Ahmad fällt aus allen Wolken, hat die Emails nicht bekommen oder verstanden und interpretiert dafür all ihre Handlungen permanent – so auch den Umstand, dass sie ihm nicht wie ausgemacht ein Hotelzimmer reserviert hat, sondern davon ausgeht, dass er bei ihr und den Kindern im Haus übernachten wird.

 

Das ist faszinierend, weil die unterschiedliche Art zu kommunizieren immer wieder deutlich wird. Ahmad hört zu, auch den Kindern, und argumentiert dann aus ihren Aussagen abgeleitet sehr rational und einfach. Marie ist impulsiv, sagt Dinge, die sie nicht so meint und wieder zurücknehmen muss. Und die Tochter, überhaupt die Kinder, auch Samirs kleiner Sohn, tun sich extrem schwer damit, überhaupt zu sagen, was sie quält oder ängstigt. Bis eben Ahmad ihnen wirklich zuhört, ohne sofort ihre Aussagen verbal zu lenken und zu steuern.

Das nächste Missverständnis lauert

Wenn nach zwei Stunden dann wie in einem Krimi immer wieder neue Indizien auftauchen, dass einzelne Vorgänge anders abgelaufen sind, als die Protagonisten sie schildern oder in Erinnerung haben, kommt unweigerlich der Moment, wo die Konstruktion an ihre dramatischen Grenzen stösst, wo man versucht ist, den Figuren zuzurufen, sie sollten sich doch endlich einfach gegenseitig in den Arm nehmen und verstehen.

 

Aber wahrscheinlich ist genau dieser Moment der wirkliche Motor von Farhadis Kunst: Das Leben und der Umgang mit den anderen ist nie fertig, das grundsätzliche Missverständnis zwischen den Menschen lässt sich immer nur temporär lösen, das nächste steckt schon im nächsten Satz oder der nächsten Handlung.

«Le passé» ist der erste Kandidat für eine goldene Palme dieses Jahr, auch wenn ihm die kompakte Wucht von «A Separation» ein wenig fehlt.

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